L e i t s ä t z e
zum Urteil des Zweiten
Senats vom 18. Juli 2005
- 2 BvR 2236/04 -
- Art. 16
GG gewährleistet als Grundrecht mit seinem Ausbürgerungs- und
Auslieferungsverbot die besondere Verbindung der Bürger zu der von ihnen getragenen
freiheitlichen Rechtsordnung. Der Beziehung des Bürgers zu einem
freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen entspricht es, dass der Bürger
von dieser Vereinigung grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann.
- Die
in der "Dritten Säule" der Europäischen Union praktizierte
Zusammenarbeit einer begrenzten gegenseitigen Anerkennung ist ein auch
unter Subsidiaritätsgesichtspunkten (Art. 23 Abs. 1 GG)
schonender Weg, um die nationale Identität und Staatlichkeit in einem
einheitlichen europäischen Rechtsraum zu wahren.
- Der
Gesetzgeber war beim Erlass des Umsetzungsgesetzes zum Rahmenbeschluss
über den Europäischen Haftbefehl verpflichtet, das Ziel des
Rahmenbeschlusses so umzusetzen, dass die Einschränkung des Grundrechts
auf Auslieferungsfreiheit verhältnismäßig ist. Insbesondere hat der
Gesetzgeber über die Beachtung der Wesensgehaltsgarantie hinaus dafür
Sorge zu tragen, dass der Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16
Abs. 2 GG schonend erfolgt. Dabei muss er beachten, dass mit dem
Auslieferungsverbot gerade auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und
des Vertrauensschutzes für den von einer Auslieferung betroffenen
Deutschen gewahrt werden sollen.
- Das
Vertrauen des Verfolgten in die eigene Rechtsordnung ist von Art. 16
Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip dann in
besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde
liegende Handlung einen maßgeblichen Inlandsbezug hat.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 2 BvR 2236/04 - |
Verkündet
|
Im Namen des Volkes
In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde
des deutschen und
syrischen Staatsangehörigen D.
zurzeit Untersuchungshaftanstalt, Holstenglacis 3, 20355 Hamburg,
- Bevollmächtigte:
- 1.
Rechtsanwalt Michael Rosenthal,
Bismarckstraße 61, 76133 Karlsruhe, - Rechtsanwältin
Gül Pinar,
Neuer Kamp 25, 20359 Hamburg, - Prof.
Dr. Matthias Herdegen,
Adenauerallee 24, 53113 Bonn -
gegen a) |
die
Bewilligungsentscheidung der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg
vom 24. November 2004 - 9351 E - S 6 - 26.4 -, |
b) |
den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts
Hamburg vom 23. November 2004 - Ausl 28/03 - |
und |
Antrag
auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat das
Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der
Richterinnen und Richter
Vizepräsident Hassemer,
Jentsch,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt
für Recht erkannt:
Das Gesetz zur Umsetzung
des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die
Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
(Europäisches Haftbefehlsgesetz – EuHbG) vom 21. Juli 2004
(Bundesgesetzblatt I Seite 1748) verstößt gegen Artikel 2 Absatz 1 in
Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3, Artikel 16 Absatz 2 und
Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes und ist nichtig.
Der Beschluss des
Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 23. November 2004 - Ausl
28/03 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus
Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Hanseatische Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Die Bewilligungsentscheidung
der Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg vom 24. November 2004
- 9351 E - S 6 - 26.4 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen
Grundrechten aus Artikel 16 Absatz 2 und Artikel 19 Absatz 4 des
Grundgesetzes. Die Bewilligungsentscheidung wird aufgehoben.
Die Bundesrepublik
Deutschland hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen aus dem
Verfahren der einstweiligen Anordnung und der Verfassungsbeschwerde zu
erstatten.
A.
I.
1. a) Der
Beschwerdeführer besitzt die deutsche und die syrische Staatsangehörigkeit. Er
soll zur Strafverfolgung an das Königreich Spanien ausgeliefert werden und
befindet sich seit dem 15. Oktober 2004 in Auslieferungshaft. Gegen den
Beschwerdeführer besteht ein "Europäischer Haftbefehl", den das
Zentrale Amtsgericht Nr. 5 der Audiencia Nacional in Madrid am 16.
September 2004 erlassen hat. Ihm wird die Beteiligung an einer kriminellen
Vereinigung und Terrorismus vorgeworfen. Als eine Schlüsselfigur im
europäischen Teil des Terrornetzwerks Al-Qaida soll er das Netzwerk im Bereich
der Finanzen und der Kontaktpflege zwischen seinen Mitgliedern unterstützt
haben. Diese Vorwürfe werden im Europäischen Haftbefehl auf umfangreiche
Schilderungen von Besuchen des Beschwerdeführers in Spanien und von Treffen
sowie Telefonaten mit mutmaßlichen Straftätern gestützt.
Nach Ansicht der
spanischen Ermittlungsbehörden könnten die Handlungen des Beschwerdeführers
eine Straftat der Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation gemäß
Art. 515.2 und Art. 516.2 des spanischen Strafgesetzbuches sein,
deren Strafrahmen eine Freiheitsentziehung bis zu 20 Jahren zulässt.
b) Zunächst ersuchte
das Königreich Spanien auf der Grundlage eines internationalen Haftbefehls vom
19. September 2003 um die Auslieferung des Beschwerdeführers. Mit Schreiben vom
9. Januar 2004 teilte das Bundesministerium der Justiz der Hamburger
Justizbehörde mit, dass eine Auslieferung des Beschwerdeführers im Hinblick auf
dessen deutsche Staatsangehörigkeit nicht in Betracht komme. Die
Generalstaatsanwaltschaft Hamburg informierte durch das Bundeskriminalamt die
spanischen Behörden hierüber und teilte ihnen zugleich mit, dass die spanischen
Erkenntnisse in ein deutsches Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer
eingeflossen seien.
c) Am
14. September 2004 – nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung des
Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren
zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 21. Juli 2004 –
Europäisches Haftbefehlsgesetz (EuHbG), BGBl I
S. 1748 - wurden die Hamburgischen
Strafverfolgungsbehörden vom Bundeskriminalamt darauf hingewiesen, dass die
Ausschreibung des Beschwerdeführers im Schengener Informationssystem zur
Festnahme zwecks Auslieferung nach Spanien, die einem Europäischen Haftbefehl
gleichgestellt ist, noch Bestand habe. Daraufhin wurde das
Auslieferungsverfahren wieder aufgenommen. Auf Anfrage teilte der
Generalbundesanwalt mit Schreiben vom 1. Oktober 2004 mit, dass gegen den
Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß § 129a
Abs. 1 StGB und wegen des Verdachts der Geldwäsche gemäß § 261 StGB
geführt werde. Die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen; sie beträfen in
erster Linie den Zeitraum von 1993 bis 2001. Da keine Anhaltspunkte für
entsprechende Aktivitäten nach dem Jahr 2001 vorlägen, werde nicht wegen eines
Verdachts der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung einer ausländischen
terroristischen Vereinigung gemäß § 129b StGB – strafbar seit dem
30. August 2002 – ermittelt.
d) Auf der Grundlage
dieser Informationen erklärte die Justizbehörde der Freien und Hansestadt
Hamburg im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz am
14. Oktober 2004, dass von der Ablehnungsbefugnis des § 83b
Abs. 1 des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen –
IRG – (BGBl I 1982 S. 2071)
kein Gebrauch gemacht werde. Die Vorschrift regelt Bewilligungshindernisse und
erlaubt es der Bewilligungsbehörde, ein Auslieferungsersuchen unter anderem
dann abzulehnen, wenn gegen den Verfolgten ein strafrechtliches Verfahren wegen
derselben Tat im ersuchten Staat durchgeführt wird oder ein solches Verfahren
eingestellt oder abgelehnt wurde.
2. a) Das Hanseatische
Oberlandesgericht Hamburg erließ am 15. Oktober 2004 Haftbefehl gegen den
Beschwerdeführer und ordnete die vorläufige Auslieferungshaft an. Dem
Beschwerdeführer werde zur Last gelegt, seit 1997 in Spanien, Deutschland und
Großbritannien als eine der Schlüsselfiguren des terroristischen Netzwerks
Al-Qaida im Bereich der logistischen und finanziellen Unterstützung dieser
Organisation aktiv gewesen zu sein. So habe er sich an dem Kauf eines Schiffes
für Osama Bin Laden beteiligt. Er habe sich auch mit der Verwaltung des
Schiffes, insbesondere mit der Übermittlung von Dokumenten und der Bezahlung
von Rechnungen befasst und sei der ständige Ansprechpartner und Assistent Bin
Ladens in Deutschland gewesen. Darüber hinaus sei er Ende des Jahres 2000 im
Auftrag des Netzwerks mit dem Ziel in den Kosovo gereist, zur Verschleierung
anderer Absichten einen Krankenwagen dorthin zu bringen.
b) Mit Beschluss vom
5. November 2004 ordnete das Oberlandesgericht an, dass die vorläufige
Auslieferungshaft als Auslieferungshaft fortdauere. Zugleich wurde der Antrag
zurückgewiesen, das Auslieferungsverfahren auszusetzen und beim
Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des
Europäischen Haftbefehlsgesetzes einzuholen.
Es liege ein
Auslieferungsersuchen der spanischen Behörden in Form des Europäischen
Haftbefehls vom 16. September 2004 vor. Das Auslieferungsersuchen leide
nicht an formalen Mängeln, die zu seiner Unwirksamkeit führten.
Auslieferungshindernisse
seien ebenfalls nicht ersichtlich. Die beiderseitige Strafbarkeit sei nach
§ 81 Nr. 4 IRG nicht zu prüfen, wenn die dem Ersuchen zu Grunde
liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates eine Strafbestimmung
verletze, die zu den in Art. 2 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses des Rates
über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den
Mitgliedstaaten vom 13. Juni 2002 - RbEuHb -
(ABl Nr. L 190 vom 18. Juli 2002, S. 1 ff.) in
Bezug genommenen Deliktsgruppen gehöre. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt,
weil es um die Delikte der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung und
Terrorismus gehe. Auf eine Strafbarkeit nach deutschem Recht komme es deshalb
nicht an. Eine Erklärung der spanischen Justizbehörden, dass der
Beschwerdeführer nach einer Verurteilung die Haftstrafe - soweit gewünscht -
in Deutschland verbüßen könne (vgl. § 80 Abs. 1 IRG), liege vor. Des
Weiteren habe die Justizbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg im
Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz erklärt, dass von der
Ablehnungsbefugnis nach § 83b Nr. 1 IRG kein Gebrauch gemacht werde.
Das Rückwirkungsverbot
des Art. 103 Abs. 2 GG werde durch die Auslieferung nicht verletzt.
Der Beschwerdeführer solle nicht von einem deutschen Gericht wegen einer Tat,
deren Strafbarkeit vor ihrer Begehung nicht gesetzlich bestimmt gewesen sei,
bestraft werden. Vielmehr solle er an einen Mitgliedstaat der Europäischen
Union übergeben werden, gegen dessen Strafnormen er im Ausland zu einem
Zeitpunkt verstoßen haben solle, als die Tat dort nach dem Recht des
ersuchenden Staates strafbar gewesen sei.
Eine Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG komme nicht in
Betracht, weil das deutsche Europäische Haftbefehlsgesetz nicht
verfassungswidrig sei. Es sei in einem ordnungsgemäßen Verfahren erlassen
worden. Insoweit habe keine Bedeutung, dass mit dem Gesetz ein Rahmenbeschluss
des Rates umgesetzt worden sei. Die Auslieferung Deutscher sei nach der
Grundgesetzänderung gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung
mit einem Ausführungsgesetz zulässig.
Schließlich werde dem
Beschwerdeführer durch die Auslieferung nach Spanien auch nicht eine fremde
Rechtsordnung "übergestülpt", vielmehr solle er sich lediglich nach
dem zur Tatzeit geltenden spanischen Recht vor einem spanischen Gericht verantworten,
das für ihn zuständig gewesen wäre, wenn er vor seiner Rückkehr nach
Deutschland in Spanien verhaftet worden wäre.
Der Verzicht auf das
Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit sei kein Verstoß gegen
rechtsstaatliche Grundsätze im Sinne des Art. 16 Abs. 2 Satz 2
GG. Die Bekämpfung von terroristischen Vereinigungen durch die Bestrafung von
Mitgliedern und Unterstützern solcher Organisationen in rechtsstaatlichen
Verfahren vor den ordentlichen Gerichten der EU-Mitgliedstaaten erscheine in
allen diesen Ländern zum wirksamen Schutz der Allgemeinheit als geboten. Ein
Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege sei ebenfalls nicht zu
besorgen, weil es für eine Auslieferung nicht ausreiche, dass die dem
Verfolgten zur Last gelegte Tat einer der in Bezug genommenen Deliktsgruppen
des Rahmenbeschlusses zugehörig sei. Die dem Ersuchen zu Grunde liegende Tat
müsse zugleich auch nach dem Recht des ersuchenden Staates eine Strafvorschrift
verletzen.
c) Mit dem hier
angegriffenen Beschluss vom 23. November 2004 erklärte das
Oberlandesgericht die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig. Die
formellen und materiellen Voraussetzungen der Auslieferung lägen vor,
Auslieferungshindernisse bestünden nicht. Das Oberlandesgericht ergänzte die
Gründe seines Beschlusses vom 5. November 2004 dahingehend, dass die
Rücküberstellung des Beschwerdeführers zur Strafvollstreckung nach Deutschland
auch nicht gegen den ordre public verstoße. § 80 Abs. 1 IRG, der die
Verbüßung einer im Ausland verhängten Freiheitsstrafe im Heimatstaat vorsehe,
greife nicht nachteilig in die Rechte des Beschwerdeführers ein. Die
gegenteilige Argumentation des Beschwerdeführers beruhe auf der vom Gericht
nicht geteilten Prämisse, dass die Überstellung eines Deutschen an das Ausland
unzulässig sei.
Auch führe die
Straflosigkeit seines Verhaltens in Deutschland zur Tatzeit im Zusammenhang mit
seiner deutschen Staatsangehörigkeit nicht dazu, dass er vor – ausländischer –
Strafverfolgung sicher sei, solange er die Bundesrepublik Deutschland nicht verlasse.
Ein Deutscher könne auch dann an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union
ausgeliefert werden, wenn er außerhalb Deutschlands eine Straftat begangen und
sich dadurch nach dem Recht des ersuchenden Staates strafbar gemacht haben
solle.
3. Die Justizbehörde
der Freien und Hansestadt Hamburg bewilligte die Auslieferung am
24. November 2004. Die Bewilligung wurde mit der Bedingung verbunden, dass
dem Beschwerdeführer nach Verhängung einer rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder
sonstigen Sanktion angeboten werde, ihn für die Vollstreckung nach Deutschland
zurückzuüberstellen.
II.
Mit Beschluss vom
24. November 2004 hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts auf
Antrag des Beschwerdeführers eine einstweilige Anordnung erlassen, mit der die
für denselben Tag geplante Übergabe des Beschwerdeführers an die Behörden des
Königreichs Spanien bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde,
längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt worden ist (EuGRZ 2004,
S. 667).
Die einstweilige
Anordnung wurde mit Beschluss vom 28. April 2005 für weitere drei Monate,
längstens bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, wiederholt.
III.
Mit der
Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des
Oberlandesgerichts, mit dem seine Auslieferung für zulässig erklärt wurde,
sowie gegen die Bewilligungsentscheidung der Justizbehörde der Freien und
Hansestadt Hamburg. Er macht die Verletzung seiner Rechte aus Art. 2
Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 16 Abs. 2 und Art. 19
Abs. 4 GG sowie aus Art. 103 Abs. 2 GG geltend.
1. a) Es fehle sowohl
dem Europäischen Haftbefehlsgesetz als auch dem Rahmenbeschluss an der
demokratischen Legitimation. Das deutsche Parlament habe nicht darüber
entscheiden können, dass deutsche Bürger für Verhaltensweisen mit
Kriminalstrafe belegt werden, die nach deutschem Recht straflos sind. Der
Vorbehalt der Rechtsstaatlichkeit in dem insoweit einschlägigen Art. 16
Abs. 2 Satz 2 GG sei nicht gewahrt.
Gesetze würden vom
Parlament beschlossen und nicht von Regierungsvertretern erlassen. Der
Rahmenbeschluss im Bereich der "dritten Säule" der Europäischen Union
bringe faktisch schwerwiegende Eingriffe in grundlegende bürgerliche Freiheiten
mit sich. Der Verzicht auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit bedeute
die faktische Geltung ausländischen materiellen Strafrechts im Inland.
b) Der Verzicht auf die
Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit kollidiere mit dem Rückwirkungsverbot
des Art. 103 Abs. 2 GG. Die entsprechende Regelung im Europäischen
Haftbefehlsgesetz könne deshalb nur für die Zukunft gelten, mithin für Fälle,
in denen der Bürger Gelegenheit gehabt habe, sich darauf einzurichten, dass ihn
die Straflosigkeit seines Verhaltens in Deutschland im europäischen Rechtsraum
nicht schützen werde. Entscheidend sei, dass er sich nach dem Recht seines
Heimatstaates straflos verhalten habe und sich nicht darauf habe einstellen
können, dass ihm sein Heimatstaat den Schutz der Voraussehbarkeit staatlichen
Strafens zu einem späteren Zeitpunkt entziehen werde.
Ein Verzicht auf die
beiderseitige Strafbarkeit sei verfassungsrechtlich nur akzeptabel, wenn die
Tathandlung im ersuchenden Staat stattgefunden habe, weil dies dem Grundsatz entspreche,
dass man sich an die Gesetze des Aufenthaltsortes zu halten habe. Bedenklich
seien alle Fälle, in denen die Jurisdiktionsgewalt des ersuchenden Staates an
Umstände anknüpfe, die nicht die Tathandlung beschrieben oder nicht auf dem
Territorium des ersuchenden Staates stattgefunden hätten. Das
Rechtsstaatsprinzip gebiete es deshalb, dass im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung
untersucht werde, ob dem Verfolgten in dem Europäischen Haftbefehl ein
Verhalten zur Last gelegt werde, das ein Rechtsstaat mit einsichtigen Gründen
unter Strafe stellen dürfe.
c) Im vorliegenden
Verfahren werde kein Verhalten geschildert, dessen Strafwürdigkeit auf der Hand
liege. Wenn Alltagshandlungen des Beschwerdeführers oder die Fahrt mit einem
Krankenwagen in den Kosovo von Hintergedanken begleitet gewesen sein sollten,
bedürfe es deren Darstellung.
d) Die geplante
Rücküberstellung werfe zwei verfassungsrechtliche Probleme auf. Zum einen
verstoße die Vollstreckung einer spanischen Strafe in Deutschland gegen den ordre
public, wenn die Tat in Deutschland nicht strafbar sei. Diese Problematik sei
bereits im Gesetzgebungsverfahren gesehen, aber nicht hinreichend
berücksichtigt worden. Zum anderen sei die Auslieferung eines Deutschen nach
dem Umsetzungsgesetz bereits dann zulässig, wenn die Rücküberstellung vom
ersuchenden Staat angeboten worden sei. Diese Regelung bleibe hinter dem
Rahmenbeschluss zurück, der in Art. 5 Nr. 3 vorsehe, dass der
Verfolgte nach Verhängung der Sanktion "in den Vollstreckungsmitgliedstaat
rücküberstellt wird". Das Recht auf Rücküberstellung sei ein subjektives
Recht des Beschwerdeführers, das den EU-Mitgliedstaaten, die Probleme mit der
Auslieferung ihrer eigenen Staatsangehörigen hätten, die Akzeptanz des
Europäischen Haftbefehls erleichtern solle. Bei dem Rückkehrrecht handele es
sich um einen Rechtsanspruch des Verfolgten, der sich aus dem Gebot der
Resozialisierung ergebe. Die Bundesrepublik Deutschland dürfe nicht darin frei
sein, ob sie ein Rücküberstellungsangebot des ersuchenden Staates annehme, weil
der von § 80 Abs. 1 IRG beabsichtigte Schutz deutscher
Staatsangehöriger dann nicht erreicht werde.
2. Auch die
Bewilligungsentscheidung sei verfassungsrechtlich zu beanstanden. Das Gesetz
über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen sehe nach seiner Änderung
durch das Europäische Haftbefehlsgesetz nunmehr ausdrücklich Ermessensgründe
vor, aus denen die Auslieferung eines Deutschen abgelehnt werden könne. Da die
Auslieferung Deutscher an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden sei, zu denen
auch die Rechtsweggarantie gehöre, bedürfe die gesetzlich angeordnete
Unanfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung der verfassungsgerichtlichen
Nachprüfung. Der Gesetzgeber habe mit § 74b IRG eine Regelung in das
Auslieferungsrecht aufgenommen, nach der die Anfechtung der
Bewilligungsentscheidung ausdrücklich ausgeschlossen sei.
Die
Bewilligungsentscheidung beschränke sich auf die Bemerkung, dass von der
Möglichkeit, die Auslieferung im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit
des Beschwerdeführers nicht zu bewilligen, kein Gebrauch gemacht werde. Die
Erwägungen für diese Ermessensausübung seien nicht erkennbar. Die Bewilligung
enthalte lediglich den Hinweis, dass dem Gedanken der Resozialisierung dadurch
hinreichend Rechnung getragen sei, dass Spanien die Rücküberstellung des
Beschwerdeführers zur Strafvollstreckung nach einer möglichen Verurteilung
angeboten habe. Die Entscheidungskriterien der Justizbehörde hätten nicht im
Dunkeln bleiben dürfen. So sei zu erwägen gewesen, dass die Erkenntnisse der
spanischen Behörden in das deutsche Ermittlungsverfahren des
Generalbundesanwalts eingeflossen seien und sich daraus keine Hinweise auf ein
strafbares Verhalten des Beschwerdeführers in Deutschland ergeben hätten,
welche sicherheitspolitischen Belange für und gegen die Bewilligung gesprochen
hätten und ob dem Resozialisierungsinteresse des Beschwerdeführers auch dann
Rechnung getragen werden könne, wenn das Rücküberstellungsangebot Spaniens aus
rechtlichen Gründen von Deutschland nicht angenommen werde.
Mit der Änderung des
Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen habe die
Bewilligungsentscheidung ihre Rechtsnatur verändert. Sie erschöpfe sich nicht
mehr nur in einer Verbalnote an den ersuchenden Staat, sondern richte sich an den
Verfolgten selbst. Das folge aus der Pflicht zur Begründung sowohl von
stattgebenden als auch von ablehnenden Bewilligungsentscheidungen (§ 79
IRG). Ferner sei die Bewilligungsentscheidung dem Verfolgten bekannt zu geben.
Eine solche Bekanntgabe sei unter dem alten Rechtszustand nicht vorgesehen
gewesen.
Die Nichtanfechtbarkeit
der Bewilligungsentscheidung verstoße gegen die Rechtsweggarantie aus
Art. 19 Abs. 4 GG. Die Bewilligungsentscheidung sei nach dem Gesetz
über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen ein justizfreier Hoheitsakt.
Der Verfolgte habe jedoch einen Anspruch darauf, dass die Behörde das ihr
zustehende Ermessen fehlerfrei ausübe. Die bisherige Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zur Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung sei
zu überprüfen, weil die Bewilligungsbehörde sich seit der Änderung des Gesetzes
über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen nicht mehr an
allgemeinpolitischen und außenpolitischen Belangen orientieren dürfe.
IV.
1. Die Bundesregierung
hat schriftsätzlich durch ihren Bevollmächtigten, Prof. Dr. Johannes
Masing (a), und durch den von der Bundesregierung bestellten Gutachter, Prof.
Dr. Martin Böse (b), Stellung genommen.
a) Die Bundesregierung
vertritt die Auffassung, dass die Verfassungsbeschwerde unzulässig (1),
hilfsweise, dass sie unbegründet ist. Die Stellungnahme beruht auf der Annahme
des Vorrangs zwingender Vorgaben aus Rechtsinstrumenten des EU-Vertrages
gegenüber nationalem Recht, auch gegenüber nationalen Grundrechten. Soweit Art. 16
Abs. 2 GG anwendbar sei, befinde sich das neue Auslieferungsrecht im
Einklang mit dessen Vorgaben (2). Gegen die Ausgestaltung der
Bewilligungsentscheidung als justizfreien Hoheitsakts bestünden keine
verfassungsrechtlichen Bedenken (3). Sollte das Bundesverfassungsgericht
Bedenken gegen die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit den
deutschen Grundrechten haben, komme eine Vorlage an den Europäischen
Gerichtshof in Betracht (4).
(1) Die
Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, weil sowohl die Verletzung eigener Rechte
als auch die Anwendbarkeit und Verletzung deutscher Grundrechte nicht
hinreichend substantiiert worden seien. Ferner sei der Grundsatz der
Subsidiarität nicht eingehalten worden.
Der Beschwerdeführer
sei durch den Ausschluss der Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung nach
§ 74b IRG nicht beschwert. Das Oberlandesgericht habe im Vorgriff auf die
noch nicht ausgesprochene Bewilligung bereits – hilfsweise - die vom
Beschwerdeführer geltend gemachten Argumente geprüft. Es habe ausdrücklich
festgestellt, dass in der angekündigten Bewilligung der Auslieferung kein
erkennbarer Ermessensfehlgebrauch liege. Die später ausgesprochene Bewilligung
habe keine neuen Erwägungen hinzugefügt, so dass der Beschwerdeführer in der
Sache den Rechtsschutz vor dem Oberlandesgericht präventiv erlangt habe.
Die angegriffenen
Entscheidungen seien Rechtsakte, die weithin auf zwingendem, gegenüber dem
deutschen Recht vorrangigem Europarecht beruhten und deshalb nach dem
derzeitigen Stand der Integration nicht am Maßstab der deutschen Grundrechte zu
prüfen seien. Rahmenbeschlüsse seien für die Mitgliedstaaten der Europäischen
Union hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich. Sie seien
europarechtlich von den Mitgliedstaaten unabhängig von der innerstaatlichen
Rechtsordnung ohne Abstriche umzusetzen. Ein nationaler Verfassungsvorbehalt
bestehe insoweit nicht.
Soweit die Anwendung
der deutschen Grundrechte nicht schon wegen des Anwendungsvorranges
ausgeschlossen sei, sei deren Verletzung nicht hinreichend substantiiert
dargelegt. Die Verfassungsbeschwerde sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt
eines unzureichenden Grundrechtsschutzes auf europäischer Ebene zulässig. Die
Substantiierungserfordernisse an Verfassungsbeschwerden im Hinblick auf einen
"ausbrechenden Rechtsakt" seien nicht erfüllt.
(2) Art. 16
Abs. 2 GG sei grundsätzlich nur insoweit anwendbar als das Unionsrecht den
Mitgliedstaaten Gestaltungsspielräume belasse. Die Auslieferung deutscher
Staatsangehöriger unter gleichen Bedingungen wie die Auslieferung von
Angehörigern anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei gegenseitiger
Anerkennung der Haftbefehle könne als Prinzip durch Art. 16 Abs. 2 GG
von vornherein nicht in Frage gestellt werden. Dieser Vorrang stehe nicht in
Konflikt mit der Änderungsgeschichte des Art. 16 Abs. 2 GG und dem
Verständnis des verfassungsändernden Gesetzgebers. Die Verfassungsrechtslage
habe seinerzeit nicht nachgezeichnet, sondern geändert werden sollen. Die
Teilnahme an einem flexibleren europäischen Auslieferungsrechtsregime habe, bei
gleichzeitigem Festhalten an elementaren Maßgaben, eröffnet werden sollen. Der
im Juni 2002 ergangene Rahmenbeschluss gehe nun als verbindliche Regelung mit
der Wirkung im Wesentlichen einer Richtlinie über die bisherige Rechtslage
hinaus und verdränge – soweit er die Auslieferung auch eigener
Staatsangehöriger gebiete – Art. 16 Abs. 2 GG schon als Maßstab.
Art. 16
Abs. 2 GG erlange im Rahmen der Ausgestaltung der Verweigerungsgründe nach
Art. 4 RbEuHb grundsätzlich Anwendung. Etwaige Maßnahmen könnten jedoch
nur soweit zum Tragen kommen, als sie das Regelungskonzept des
Rahmenbeschlusses nicht unterliefen und diskriminierungsfrei umgesetzt würden.
Eine privilegierte Anknüpfung an die deutsche Staatsangehörigkeit scheide aus,
weil der Rahmenbeschluss ein Regime etabliere, in dem die nationalstaatliche
Unterscheidung zwischen verschiedenen Staatsangehörigkeiten aufgehoben und
"einzelstaatlich-personenbezogene Statusunterschiede durch
europarechtlich-sachbezogene Rechtskriterien" ersetzt würden.
Der Auslieferungsschutz
deutscher Staatsangehöriger könne durch ein formelles Parlamentsgesetz
eingeschränkt werden. Ein solches Gesetz liege mit dem Europäischen
Haftbefehlsgesetz vor. Eine Auslieferung könne danach nur angeordnet werden,
wenn die "rechtsstaatlichen Grundsätze" gewahrt seien. Sowohl aus der
Formulierung als auch aus dem Ziel der Verfassungsvorschrift ergebe sich, dass
diese Grundsätze nicht mit den innerstaatlich geltenden Anforderungen aus dem
grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip gleichgesetzt werden könnten.
Andererseits verweise die Vorschrift auf mehr als einen völkerrechtlichen
Mindeststandard. In Bezug genommen werde vielmehr eine "übergreifend
europäisch-nordamerikanische Verfassungstradition" mit den sich aus ihr
ergebenden Kernstandards der Rechtsstaatlichkeit für das Strafverfahren. Der
Gesetzgeber dürfe von der Wahrung dieser Standards in der Europäischen Union
und ihren Mitgliedstaaten ausgehen, weil sie schon Voraussetzung für die
Mitgliedschaft in der Union seien. Im Einzelfall könne sich ein Verfolgter auf
den ordre public in § 73 Satz 2 IRG berufen, der dem
gesamteuropäischen ordre public in Art. 6 EU entspreche.
(3) Eine Rechtsschutzverweigerung
gegenüber dem Beschwerdeführer liege in der Unanfechtbarkeit der
Bewilligungsentscheidung deshalb nicht, weil das Oberlandesgericht die vom
Beschwerdeführer angeführten Gesichtspunkte hilfsweise im Rahmen des
Zulässigkeitsverfahrens geprüft habe. Im Übrigen sei § 74b IRG in Bezug
auf den vorliegenden Fall auch in der Sache verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Da aus materiellen Grundrechtsverbürgungen keine subjektiven
Rechte im Hinblick auf die Bewilligungserwägungen des § 83b IRG abzuleiten
seien, bestünden gegen die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, die
Bewilligungsentscheidung weiterhin als justizfreien Hoheitsakt auszugestalten,
keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Es folge zudem weder aus Art. 16
Abs. 2 GG noch aus sonstigen Grundrechten ein Anspruch des Bürgers, bei
konkurrierenden Zuständigkeiten mehrerer Staaten von der deutschen Strafjustiz
abgeurteilt zu werden.
(4) Soweit das
Bundesverfassungsgericht Bedenken gegen die Vereinbarkeit der angegriffenen
Entscheidungen mit den deutschen Grundrechten für begründet halte, sei eine
Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zu erwägen. Die grundsätzliche
Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für die Auslegung von
Rahmenbeschlüssen sei gegeben. Der Gerichtshof sei nach Art. 35
Abs. 1 EU für Vorlagen aus den Mitgliedstaaten zuständig, soweit die
Mitgliedstaaten eine Anerkennungserklärung abgegeben hätten. Eine solche
Erklärung der Bundesrepublik Deutschland liege vor; durch das Gesetz betreffend
die Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege des
Vorabentscheidungsverfahrens auf dem Gebiet der polizeilichen Zusammenarbeit
und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen nach Artikel 35 des
EU-Vertrages vom 6. August 1998 - EuGH-Gesetz - (BGBl I
S. 2035) sei die Zuständigkeit des Gerichtshofs
auch innerstaatlich verbindlich geworden. Das deutsche Recht sichere, anders
als von Art. 35 Abs. 3 EU vorgeschrieben, auch eine Vorlagepflicht
der letztinstanzlichen Gerichte und damit das Auslegungs- und
Verwerfungsmonopol des Europäischen Gerichtshofs für solche Akte. Entsprechend
der Regelung in Art. 234 Abs. 3 EG seien damit alle deutschen
Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden
könnten, zur Vorlage verpflichtet. Die verfahrensrechtliche Angleichung der
unionsrechtlichen Vorabentscheidung an das Gemeinschaftsrecht erlaube es, die
zu Art. 234 Abs. 3 EG geltenden Maßstäbe auf die Verfahren nach
Art. 35 Abs. 1 EU zu übertragen.
b) Die ergänzende
Stellungnahme des von der Bundesregierung bestellten Gutachters enthält
Ausführungen zu den verfassungsrechtlichen Fragen, die im Rahmen der
Verfassungsbeschwerde im Zusammenhang mit dem Grundsatz der beiderseitigen
Strafbarkeit aufgeworfen werden.
Der Beschwerdeführer sei
durch den Verzicht auf die Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit nicht
beschwert. Nach allgemeiner Ansicht sei der dem Ersuchen zu Grunde liegende
Sachverhalt so umzustellen, dass ein entsprechender Bezug zu dem ersuchten
Staat hergestellt werde.
Der in § 81
Nr. 4 IRG statuierte Verzicht auf eine Prüfung der beiderseitigen
Strafbarkeit im Einzelfall in den in Art. 2 Abs. 2 RbEuHb genannten
Deliktsgruppen verstoße nicht gegen den nulla poena-Grundsatz. Der
Anwendungsbereich des Art. 103 Abs. 2 GG sei in Bezug auf eine
Auslieferung nicht eröffnet, da in der Auslieferung keine missbilligende
hoheitliche Reaktion auf ein strafbares Verhalten liege.
Mit dem Verzicht auf
eine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit im Einzelfall werde die
Strafbarkeit nach spanischem Recht weder begründet noch ausgeweitet. Das
Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit könne den Verfolgten nur vor einer
Auslieferung schützen, nicht aber davor, von dem ausländischen Staat
strafrechtlich verfolgt zu werden. Gegenstand eines Vertrauensschutzes sei
nicht die materielle Straflosigkeit, sondern nur die auf der
Verfahrenssituation beruhende "faktische" Sicherheit vor Verfolgung.
Art. 103 Abs. 2 GG gelte jedoch nach allgemeiner Auffassung nicht für
das Strafverfahrensrecht.
Die Vorhersehbarkeit
staatlichen Strafens sei nicht eingeschränkt. Der Verzicht auf die Prüfung der
beiderseitigen Strafbarkeit nach Art. 2 Abs. 2 RbEuHb beziehe sich im
Wesentlichen auf Deliktsgruppen, in denen die Harmonisierung des materiellen
Strafrechts weit fortgeschritten, eine beiderseitige Strafbarkeit mithin
regelmäßig gegeben sei. Dies gelte vor allem in den im Falle des
Beschwerdeführers einschlägigen Deliktsbereichen, der Beteiligung an einer
kriminellen Vereinigung und Terrorismus. Zur Bestimmung des Inhalts der
erstgenannten Deliktsgruppe könne die Gemeinsame Maßnahme des Rates betreffend
die Strafbarkeit einer Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung vom 21.
Dezember 1998 herangezogen werden. Der Inhalt des Begriffs "Terrorismus"
ergebe sich aus dem Rahmenbeschluss zur Terrorismusbekämpfung vom 13. Juni
2002.
Die Einbeziehung
ausländischer krimineller Vereinigungen in den Anwendungsbereich des jeweiligen
innerstaatlichen Straftatbestands sei damit durch das EU-Recht vorgezeichnet.
Der Beschwerdeführer habe nicht darauf vertrauen können, dass die von
Deutschland aus erfolgte Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in
anderen EU-Mitgliedstaaten nicht strafrechtlich verfolgt werden könne. Dies
gelte umso mehr vor dem Hintergrund, dass ein solches Verhalten bereits vor
Einführung des § 129b StGB strafbar gewesen sei. Die in der Gemeinsamen
Maßnahme betreffend die Strafbarkeit der Beteiligung an einer kriminellen
Vereinigung vom 21. Dezember 1998 enthaltenen Vorgaben seien nicht nur für den
Gesetzgeber, sondern auch für die Rechtsprechung verbindlich. Es bestehe
nämlich eine Pflicht zur europarechtskonformen Auslegung des deutschen
Strafrechts. § 129 und § 129a StGB seien so auszulegen gewesen, dass
vor der gesetzlichen "Klarstellung" durch § 129b StGB auch die
Unterstützung einer kriminellen Vereinigung im EU-Ausland erfasst gewesen sei.
Dass auf das Verhalten
des Beschwerdeführers spanisches Strafrecht Anwendung finde, sei nicht auf die
Umsetzung des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl durch den deutschen
Gesetzgeber zurückzuführen, sondern beruhe auf dem spanischen
Strafanwendungsrecht. Die Frage, inwieweit Spanien seine Strafgewalt auf
Handlungen erstrecken dürfe, die auf deutschem Boden begangen worden seien,
betreffe nicht den nulla poena-Grundsatz, sondern die völkerrechtlichen Grenzen
der Ausdehnung der nationalen Strafgewalt.
Der Verzicht auf die
Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit im Einzelfall verstoße auch nicht gegen
das allgemeine Rechtsstaatsprinzip. Der ersuchte Staat führe kein eigenes
Strafverfahren, sondern unterstütze mit der Auslieferung die Strafverfolgung
durch einen anderen Staat. Mit der Auslieferung gebe der ersuchte Staat sein
"ius puniendi" zu Gunsten des ersuchenden Staates auf und überantworte
den Verfolgten der fremden Strafverfolgung.
Die Bindung der
staatlichen Organe an die Grundrechte gelte zwar grundsätzlich auch im
Auslieferungsverkehr. Der Prüfungsmaßstab sei jedoch wegen des kollidierenden
Verfassungsgutes der Völkerrechtsfreundlichkeit zu reduzieren. Die Auslieferung
wegen einer nach deutschem Recht nicht strafbaren Tat sei deshalb nicht ohne
weiteres verfassungswidrig.
Hinzu komme, dass das
Erfordernis der beiderseitigen Strafbarkeit für Deliktsbereiche entfalle, in
denen – wie in den hier relevanten Bereichen – die Harmonisierung des
materiellen Strafrechts durch die Europäische Union so weit fortgeschritten
sei, dass die beiderseitige Strafbarkeit regelmäßig gegeben sei. Darüber hinaus
habe der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit keine grundrechtsschützende
Funktion, er diene vielmehr der Wahrung staatlicher Interessen.
§ 81 Nr. 4
IRG verstoße, indem er auf den in Art. 2 Abs. 2 RbEuHb enthaltenen
Katalog von Deliktsgruppen verweise, auch nicht gegen den allgemeinen rechtsstaatlichen
Bestimmtheitsgrundsatz. Der Rahmenbeschluss selbst könne als Rechtsakt der
Europäischen Union nicht am Maßstab des Grundgesetzes geprüft werden;
gegebenenfalls sei eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs
einzuholen.
2. a) Die Freie und
Hansestadt Hamburg vertrat zunächst in ihrer schriftlichen Stellungnahme die
Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unbegründet. Die angegriffene
Bewilligungsentscheidung und der gerügte Beschluss des Oberlandesgerichts
hielten einer verfassungsrechtlichen Prüfung ebenso stand wie die den
Entscheidungen zu Grunde liegenden Neuregelungen des Gesetzes über die
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen.
Im Hinblick auf die
Rüge einer Verletzung des Rückwirkungsverbots gemäß Art. 103 Abs. 2
GG fehle es bereits an einem Eingriff in den Schutzbereich. Der
Beschwerdeführer solle nicht von einem deutschen Gericht wegen einer Tat, deren
Strafbarkeit vor ihrer Begehung gesetzlich nicht bestimmt gewesen sei, bestraft
werden. Vielmehr solle er an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union
ausgeliefert werden, nach dessen zur Tatzeit geltendem Recht er sich strafbar
gemacht haben solle. Die vorgebliche Rückwirkung betreffe also nicht die
Strafbarkeit seines Verhaltens, sondern nur die mit dem Europäischen
Haftbefehlsgesetz in Kraft getretene Modifikation der
Auslieferungsvoraussetzungen.
Aus diesem Grund lasse
sich auch ein Verstoß gegen den nulla poena-Grundsatz nicht feststellen. Die
dem Ersuchen zu Grunde liegende Tat sei im konkreten Fall nach dem Recht des
ersuchenden – spanischen – Staates strafbar; insoweit komme es auf die Frage,
ob ein bloßer abstrakter Rückgriff auf die in Art. 2 Abs. 2 RbEuHb
genannten Deliktsgruppen ausreiche, nicht an.
Die den angegriffenen
Entscheidungen zu Grunde liegenden Vorschriften des Gesetzes über die
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen seien mit Art. 16 Abs. 2 GG
vereinbar. Der verfassungsändernde Gesetzgeber habe ausdrücklich festgestellt,
dass im Verhältnis zu den anderen EU-Mitgliedstaaten von der Wahrung der
"rechtsstaatlichen Grundsätze" auszugehen sei. Bei
Auslieferungsersuchen aus diesen Staaten sei deshalb grundsätzlich auf die
Wahrung dieser Grundsätze zu vertrauen. Dessen ungeachtet zählten weder das
Merkmal der beiderseitigen Strafbarkeit noch die Anfechtbarkeit der
Bewilligungsentscheidung zu den unabdingbaren rechtsstaatlichen Grundsätzen des
Grundgesetzes.
Der Ausschluss der
Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung in § 74b IRG bewirke keine
Änderung der Rechtslage und sei deshalb – wie auch in der Vergangenheit –
verfassungsgemäß. Die Bewilligung sei Teil der Konkretisierung des
"außenpolitisch unbegrenzten Ermessens der Bundesregierung", das
ausschließlich das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem
die Rechtshilfe ersuchenden Staat betreffe. Subjektive Rechte des Betroffenen
seien nicht beeinträchtigt. Der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch darauf,
bei Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht ausgeliefert zu werden;
soweit Grundrechte berührt würden, seien die entsprechenden Maßnahmen durch die
Zulässigkeitsentscheidung des Oberlandesgerichts gedeckt. Das Europäische
Haftbefehlsgesetz habe an der Konzeption des Auslieferungsverfahrens nichts
geändert. Die Fallgruppen des § 83b IRG, in denen Bewilligungshindernisse
enthalten seien, verfolgten ausschließlich außenpolitische Zielsetzungen. Das
gelte auch für § 83b Nr. 1 IRG, der nicht dem Schutz deutscher
Staatsangehöriger vor Auslieferung diene. Die Schutzaspekte seien nach der
Systematik des Gesetzes bereits im Rahmen des Zulässigkeitsverfahrens gemäß
§ 80 IRG zu berücksichtigen. Da im vorliegenden Fall die beiderseitige
Strafbarkeit gegeben sei, scheitere eine Rücküberstellung des Beschwerdeführers
zumindest nicht an diesem Merkmal.
b) Mit Schriftsatz vom
12. April 2005 hat die Freie und Hansestadt Hamburg dann mitgeteilt, sie halte
an ihrer ursprünglichen Stellungnahme nicht mehr fest.
Das Grundproblem, dass
der Beschwerdeführer durch die Auslieferung wegen einer Tat, die nach
inländischem Recht nicht strafbar oder jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer Begehung
noch nicht strafbar gewesen sei, im Ergebnis dennoch einer ausländischen
Strafverfolgung ausgesetzt werde, sei in Anbetracht der Gewährleistung des
Art. 103 Abs. 2 GG verfassungskonform nicht lösbar. Von
ausschlaggebender Bedeutung in diesem Zusammenhang sei, dass die dem
Beschwerdeführer vorgeworfenen strafrechtlich relevanten Tatbeiträge nicht nur
vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Europäischen Haftbefehlsgesetzes und
des § 129b StGB, sondern auch vor der Einfügung des Art. 16
Abs. 2 Satz 2 in das Grundgesetz gelegen hätten.
V.
Das
Bundesverfassungsgericht hat am 13. und 14. April 2005 eine mündliche
Verhandlung durchgeführt, in der die Beteiligten ihre Rechtsstandpunkte
erläutert und vertieft haben. Das Gericht hat die Professoren Dr. Helmut Fuchs,
Dr. Kay Hailbronner und Dr. Thomas Weigend, von der Europäischen Kommission
Prof. Dr. Jürgen Grunwald und Dr. Martin Wasmeier, von der Generalstaatsanwaltschaft
Karlsruhe Generalstaatsanwältin Dr. Christine Hügel und Oberstaatsanwalt
Dr. Martin Nothhelfer, von der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz
Oberstaatsanwalt Harald Kruse sowie Vertreter der Bundesrechtsanwaltskammer und
des Deutschen Anwaltvereins als sachkundige Auskunftspersonen (§ 27a
BVerfGG) gehört.
B.
Die zulässige
Verfassungsbeschwerde ist begründet.
Das Europäische
Haftbefehlsgesetz verstößt gegen Grundrechte und ist materiell
verfassungswidrig (I.). Das Gesetz ist nichtig (II.). Die angegriffenen
Entscheidungen beruhen auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage und sind
aufzuheben (III.).
I.
Das Europäische
Haftbefehlsgesetz verstößt gegen Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG, weil der
Gesetzgeber bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen
Haftbefehl die verfassungsrechtlichen Anforderungen des qualifizierten
Gesetzesvorbehalts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG nicht erfüllt hat
(1.). Durch den Ausschluss des Rechtswegs gegen die Bewilligung einer Auslieferung
in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union verstößt das Europäische
Haftbefehlsgesetz gegen Art. 19 Abs. 4 GG (2.).
1. Deutsche
Staatsangehörige sind durch das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2 GG vor
Auslieferung geschützt (a). Dieser Schutz kann allerdings nach dem zweiten Satz
dieser Vorschrift durch Gesetz für bestimmte Fälle eingeschränkt werden (b).
Bei der Einschränkung unterliegt der Gesetzgeber verfassungsrechtlichen
Bindungen. Diese Bindungen ergeben sich sowohl aus dem Tatbestand des
Gesetzesvorbehalts als auch aus dem besonderen Schutzgehalt des Grundrechts und
aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der grundrechtseinschränkende
Gesetzgeber ist verpflichtet, bei der Verfolgung von Gemeinwohlbelangen den
Schutzgehalt des Grundrechts soweit als möglich zu erhalten; er darf es deshalb
nur unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einschränken und hat
andere Verfassungsbindungen wie die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19
Abs. 4 GG zu beachten (c). Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird
das Europäische Haftbefehlsgesetz auch mit Blick auf den Rahmenbeschluss über
den Europäischen Haftbefehl nicht gerecht (d).
a) Mit dem Satz
"Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden"
(Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG) gewährleistete das Grundgesetz bis zu
seiner Änderung durch das Gesetz vom 29. November 2000 einen
uneingeschränkten Schutz vor der Überstellung eines Deutschen an eine
auswärtige Staatsgewalt. Die Auslieferung als traditionelles Institut der
internationalen strafrechtlichen Zusammenarbeit von Staaten ist als
Grundrechtseingriff dadurch gekennzeichnet, dass eine Person auf Ersuchen
zwangsweise aus dem Bereich der inländischen Hoheitsgewalt entfernt und einer
ausländischen Hoheitsgewalt überstellt wird (vgl. BVerfGE
10, 136 <139>), damit ein dort betriebenes
Strafverfahren abgeschlossen oder eine dort verhängte Strafe vollstreckt werden
kann (vgl. BVerfGE 29, 183 <192>).
Das Verbot der
Auslieferung (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG) ist ebenso wie das damit in
Zusammenhang stehende Verbot der Ausbürgerung (Art. 16
Abs. 1 GG) nicht nur Ausdruck staatlich beanspruchter
Verantwortlichkeit für die eigenen Staatsangehörigen, sondern beide Verbote
sind als Freiheitsrechte gewährleistet. Der Zweck des Freiheitsrechts auf
Auslieferungsschutz liegt nicht darin, den Betroffenen einer gerechten
Bestrafung zu entziehen (BVerfGE 29, 183 <193>).
Vielmehr sollen Bürger nicht gegen ihren Willen aus der ihnen vertrauten
Rechtsordnung entfernt werden. Jeder Staatsangehörige soll - soweit er
sich im Staatsgebiet aufhält - vor den Unsicherheiten einer Aburteilung
unter einem ihm fremden Rechtssystem und in für ihn schwer durchschaubaren
fremden Verhältnissen bewahrt werden (vgl. BVerfGE 29,
183 <193>; siehe auch von Martitz,
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, Bd. I S. 1888;
Mettgenberg, Ein Deutscher darf nicht ausgeliefert werden!, 1925,
S. 6 ff.; S. 35 ff.; Baier, Die Auslieferung von Bürgern
der Europäischen Union an Staaten innerhalb und außerhalb der EU, GA 2001, S. 427
<434 ff.>).
Art. 16 GG gewährleistet
als Grundrecht mit seinem Ausbürgerungs- und Auslieferungsverbot die besondere
Verbindung der Bürger zu der von ihnen getragenen freiheitlichen Rechtsordnung.
Die Staatsangehörigkeit ist die rechtliche Voraussetzung für den gleichen
staatsbürgerlichen Status, der einerseits gleiche Pflichten, zum anderen und
vor allem aber auch die Rechte begründet, durch deren Gewährleistung die
Staatsgewalt in der Demokratie legitimiert wird. Die staatsbürgerlichen Rechte
und Pflichten, die für jeden Einzelnen mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit
verbunden sind, bilden zugleich konstituierende Grundlagen des gesamten
Gemeinwesens. Der Beziehung des Bürgers zu einem freiheitlichen demokratischen
Gemeinwesen entspricht es, dass der Bürger von dieser Vereinigung grundsätzlich
nicht ausgeschlossen werden kann. Das Vertrauen der Bürger in den gesicherten
Aufenthalt auf dem Gebiet des Staates, zu dem sie eine verfassungsrechtlich
gewährleistete Verbindung in Form der Staatsangehörigkeit haben, wird auch
durch das Völkerrecht anerkannt. Staaten haben die völkerrechtliche Pflicht,
ihre eigenen Staatsangehörigen aufzunehmen, ihnen also die Einreise in das
Staatsgebiet und den Aufenthalt dort zu gestatten (vgl. Verdross/Simma,
Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, § 1202 m.w.N.; ausführlich
Hailbronner, in: ders./Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 3. Aufl. 2001,
Einl. E, Rn. 113 ff.). Dieses Einreiserecht ist das Korrelat zu
dem Recht der Staaten, Ausländer aus ihrem Staatsgebiet auszuweisen.
Das Grundrecht, das die
Staatsangehörigkeit und den Verbleib in der eigenen Rechtsordnung garantiert,
hat einen hohen Rang. Es gründet in seiner Ausgestaltung auch auf Erfahrungen
aus der neueren deutschen Geschichte, in der die nationalsozialistische
Diktatur unmittelbar nach dem Staatsstreich 1933 vor allem diejenigen Deutschen
jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung nach und nach aus dem Schutz der
deutschen Staats- und Volkszugehörigkeit formalrechtlich dadurch verdrängte und
vertrieb, dass die Staatsangehörigkeit als Institution entwertet wurde, und für
aktivberechtigte Staatsangehörige einen neuen "völkischen Status" an
deren Stelle setzte (siehe § 2 Reichsbürgergesetz vom 15. September 1935,
RGBl I S. 1146; vgl. Grawert, Staatsvolk und Staatsangehörigkeit, in:
Isensee/Kirchhof <Hrsg.>, Handbuch des Staatsrechts, Bd. II,
3. Aufl. 2004, § 16 Rn. 44). Hinter der Gewährleistung des
Art. 16 GG steht aber auch die seit der französischen Revolution
gemeineuropäische Überzeugung, dass Bürger nur in einer statusrechtlich gesicherten
Weise ihre politische und zivilrechtliche Rechtsstellung genießen können (vgl.
Randelzhofer, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 16 Abs. 1
Rn. 2).
Damit das
Auslieferungsverbot aber nicht zu einem Freibrief für kriminelles Handeln
eigener Staatsangehöriger im Ausland wird und um der mit dem Schutzversprechen
einhergehenden Verantwortung für deren Handeln gerecht zu werden, erstreckt
sich die Strafgewalt der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich auch auf
Straftaten im Ausland (vgl. §§ 5 ff. StGB und § 1 VStGB), so
dass regelmäßig eine Verfolgung von Straftaten, die Deutsche im Ausland
begangen haben, möglich ist.
b) Der Eingriff in den
Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG ist
ausschließlich unter den Voraussetzungen des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG
gerechtfertigt. Das Grundgesetz gestattet seit Inkrafttreten von Art. 1
des 47. Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 29. November 2000 (BGBl
I S. 1633) unter bestimmten Voraussetzungen die
Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an einen Mitgliedstaat der
Europäischen Union oder einen internationalen Gerichtshof. Es öffnet auch
insofern die innerstaatliche Rechtsordnung für das Europa- und Völkerrecht
sowie die internationale Zusammenarbeit in den Formen einer kontrollierten
Bindung, um den Respekt vor friedens- und freiheitswahrenden internationalen
Organisationen und dem Völkerrecht zu erhöhen und das Zusammenwachsen der
europäischen Völker in einer Europäischen Union zu fördern (Art. 23 Abs. 1
GG).
aa) Mit der Eröffnung
einer solchen Eingriffserlaubnis in das zuvor Deutschen unbeschränkt
gewährleistete Grundrecht auf Auslieferungsfreiheit ist kein
verfassungswidriges Verfassungsrecht gesetzt worden. Eine Änderung des
Grundgesetzes wäre unzulässig, wenn sie die Grenzen des Art. 79
Abs. 3 GG überschritte. Die Auslieferung Deutscher verstößt, jedenfalls
bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Bindungen, nicht gegen die in
Art. 1 und Art. 20 GG niedergelegten Grundsätze. Weder wird durch eine
rechtsstaatlichen Grundsätzen gehorchende Auslieferung Deutscher deren
Menschenwürde verletzt noch werden dadurch die Staatsstrukturprinzipien des
Art. 20 GG angetastet (vgl. bereits BVerfGE 4, 299
<303 f.>; 29, 183
<193>).
bb) Die Auslieferung auch
eigener Staatsangehöriger entspricht einer allgemeinen überstaatlichen und
völkerrechtlichen Entwicklung, gegen die das völkerrechtsfreundliche
Grundgesetz keine unübersteigbaren Hürden errichtet. Die Bundesrepublik
Deutschland ist als Mitglied der Vereinten Nationen verpflichtet, die
Resolutionen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der Satzung grundsätzlich zu
befolgen und umzusetzen (vgl. Frowein/Krisch, in: Simma <Hrsg.>, The
Charta of the United Nations, 2. Aufl. 2002, Bd. 1, S. 701
<708 f.>, Rn. 21 ff.). Die beiden Resolutionen 827 und 955
des Sicherheitsrates, mit denen ad hoc die internationalen
Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda in Den Haag und
Arusha errichtet wurden, sehen die Auslieferung eigener Staatsangehöriger vor,
weil regelmäßig erst dadurch die beabsichtigte internationale Strafverfolgung
von mutmaßlichen Kriegsverbrechern ermöglicht wird (siehe das Gesetz über die
Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige
Jugoslawien vom 10. April 1995, BGBl I S. 485
sowie das Gesetz für die Zusammenarbeit mit dem Internationalen
Strafgerichtshof für Ruanda vom 4. Mai 1998, BGBl I
S. 843; dazu Uhle, Auslieferung und Grundgesetz –
Anmerkungen zu Art. 16 II GG, NJW 2001, S. 1889 <1890>).
Für das
völkervertragliche Statut des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs in
Den Haag (vgl. Gesetz zum Römischen Statut des Internationalen
Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 – IStGH-Statutgesetz, BGBl
2000 II S. 1393, in Kraft getreten am
1. Juli 2002, Bek. vom 28. Februar 2003, BGBl 2003
II S. 293) wurde insoweit auf diese beiden
Vorbilder zurückgegriffen, allerdings mit der wichtigen Maßgabe, dass die
internationale Zuständigkeit nur subsidiär begründet ist. Die Vertragsparteien
des Statuts haben ohne weiteres die Möglichkeit, die Auslieferung eigener
Staatsangehöriger durch eine geeignete nationale Strafverfolgung abzuwenden
(zum Grundsatz der Komplementarität siehe Art. 1 und Art. 17 des
Statuts und Art. 1 § 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 21. Juni
2002 zur Ausführung des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs
vom 17. Juli 1998, BGBl I S. 2144).
Damit wird die Verantwortung für die Ahndung bestimmter Straftaten durch eine
abgestimmte Kompetenzzuweisung geteilt. In den Prozess der Herausbildung einer
internationalen Strafjustiz für Verbrechen gegen die Humanität, der mit den
Kriegsverbrechertribunalen von Nürnberg und Tokio nach dem Zweiten Weltkrieg
begonnen hat, fügt sich die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der
internationalen Staatengemeinschaft in besonderer, auch historisch begründeter
Verantwortung ein (zur strafrechtlichen Verfolgung von Völkermord siehe den
Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom
12. Dezember 2000 - 2 BvR 1290/99 -, NJW 2001,
S. 1848 ff.).
Als Mitgliedstaat der
Europäischen Union ist Deutschland weitere Verpflichtungen eingegangen. Mit der
Ratifikation der Verträge von Amsterdam und von Nizza hat sich die
Bundesrepublik Deutschland verpflichtet, an dem Auf- und Ausbau des "Raums
der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts" teilzunehmen. Die
Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten erfolgt im Bereich der –
intergouvernementalen – "dritten Säule" des Rechts der Europäischen
Union. Art. 31 Abs. 1 lit. b EU sieht in diesem Zusammenhang
vor, auch die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern. Die
Europäische Union verfolgt damit das Ziel, den Prozess des Zusammenwachsens und
die Öffnung der Grenzen für Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital mit
einer besseren Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden zu verbinden. Dies
soll durch eine weitere Verrechtlichung der Beziehungen der Mitgliedstaaten
untereinander erreicht werden, also unter anderem durch einen Verzicht der
mitgliedstaatlichen Regierungen auf ihr im herkömmlichen Rechtsverkehr der
Staaten untereinander übliches politisches Ermessen, wie es gerade im
Auslieferungsrecht - in Deutschland im Rahmen der Bewilligung -
besteht.
cc) Die Möglichkeit der
Einschränkung des bislang absolut geltenden Auslieferungsverbots Deutscher
führt auch nicht zu einer Entstaatlichung der vom Grundgesetz verfassten
Rechtsordnung, die wegen der unantastbaren Grundsätze des Art. 20 GG der
Dispositionsfreiheit des verfassungsändernden Gesetzgebers entzogen wäre (vgl. BVerfGE
89, 155 <182 ff.>). Insbesondere wird damit
das Institut der Staatsbürgerschaft weder aufgegeben noch substantiell
entwertet oder durch eine europäische Unionsbürgerschaft ersetzt, so dass deren
Bedeutung für das Demokratieprinzip des Grundgesetzes hier keiner Erörterung
bedarf. Die Unionsbürgerschaft ist - ungeachtet ihrer sonstigen Bedeutung
(vgl. BVerfGE 89, 155 <184>) -
ein abgeleiteter und die mitgliedstaatliche Staatsangehörigkeit ergänzender
Status (Art. 17 Abs. 1 Satz 2 EG); auch Art. I-10
Abs. 1 Satz 2 des Vertrages über eine Verfassung für Europa hält
daran fest, wenn er bestimmt, dass die Unionsbürgerschaft zur nationalen
Staatsbürgerschaft hinzutritt, ohne diese zu ersetzen. Dem entsprechend ist
auch das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Diskriminierung nach der
Staatsangehörigkeit nicht umfassend angelegt, sondern gilt im Einklang mit dem
Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung nur für die vertraglich festgelegten
Ziele, insbesondere im Rahmen der Grundfreiheiten. Dies trägt zugleich dazu
bei, dass die Mitgliedstaaten ihre auch vom Unionsrecht geschützte nationale
Identität bewahren können (Art. 6 Abs. 3 EU), die in der jeweiligen
grundlegenden politischen und verfassungsrechtlichen Struktur zum Ausdruck
kommt (vgl. Hilf/Schorkopf, in: Grabitz/Hilf <Hrsg.>, Recht der
Europäischen Union, Art. 6 EU Rn. 78 ff. und Art. I-5
Abs. 1 des Vertrages über eine Verfassung für Europa).
Wegen der
bereichsspezifischen Begrenzung des europäischen Diskriminierungsverbots aus
Gründen der mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeit lässt sich insoweit für die
Auslieferung Deutscher an andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union eine
nach den Vorgaben des Grundgesetzes unzulässige Entstaatlichung nicht
feststellen. Nicht nur verbleiben dem Staat Aufgaben von substantiellem
Gewicht; es handelt sich bei der Einschränkung des Auslieferungsschutzes auch
nicht um den Verzicht auf eine bereits für sich genommen essentielle
Staatsaufgabe. Die in der "dritten Säule" der Europäischen Union
praktizierte Zusammenarbeit einer begrenzten gegenseitigen Anerkennung, die
keine allgemeine Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen
vorsieht, ist gerade auch mit Blick auf den Grundsatz der Subsidiarität
(Art. 23 Abs. 1 GG) ein Weg, um die nationale Identität und
Staatlichkeit in einem einheitlichen europäischen Rechtsraum zu wahren.
c) Der Gesetzgeber kann
nicht unbeschränkt vom Verbot der Auslieferung Deutscher abweichen.
aa) Art. 16
Abs. 2 Satz 2 GG erlaubt als qualifizierter Gesetzesvorbehalt eine
Auslieferung Deutscher nur, "soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt
sind". Diese Voraussetzung für eine Auslieferung ist nicht nur die
Wiederholung der ohnehin für Grundrechtseinschränkungen nicht verfügbaren
Geltung des Rechtsstaatsprinzips, insbesondere des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.
Vielmehr handelt es sich um eine auf den ersuchenden Mitgliedstaat und den
Internationalen Gerichtshof bezogene Erwartung im Sinne einer
Strukturentsprechung, wie sie auch Art. 23 Abs. 1 GG formuliert. Der die
Auslieferung Deutscher erlaubende Gesetzgeber muss insoweit prüfen, ob diese
rechtsstaatlichen Voraussetzungen von den ersuchenden Stellen erfüllt werden.
Der
grundrechtseinschränkende Gesetzgeber muss sich insofern davon überzeugen, dass
die Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze durch die die Strafgewalt über einen
Deutschen beanspruchende Stelle gewährleistet ist. Dabei wird in Rechnung zu
stellen sein, dass jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union die in
Art. 6 Abs. 1 EU genannten Grundsätze und somit auch den Grundsatz der
Rechtsstaatlichkeit zu achten hat und somit eine Grundlage für gegenseitiges
Vertrauen besteht. Das entbindet allerdings den Gesetzgeber nicht davon, bei
nachhaltiger Erschütterung dieses Vertrauens in die Rechtsstaatlichkeit der
allgemeinen Verfahrensbedingungen in einem Mitgliedstaat zu reagieren, und zwar
unabhängig von einem Verfahren gemäß Art. 7 EU.
Die besondere im
Wortlaut des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG genannte Schranke verdrängt indes
nicht die für jedes grundrechtseinschränkende Gesetz bestehenden Grenzen der
Verfassung. Das ein Grundrecht einschränkende Gesetz muss seinerseits allen
verfassungsrechtlichen Bindungen entsprechen, darf keine Kollisionen mit
anderen Verfassungsbestimmungen hinnehmen und muss unter Beachtung des
Verhältnismäßigkeitsgebots den Eingriff schonend ausgestalten.
bb) Der Gesetzgeber war
jedenfalls verpflichtet, die Umsetzungsspielräume, die der Rahmenbeschluss den
Mitgliedstaaten belässt, in einer grundrechtsschonenden Weise auszufüllen. Eine
im Vergleich zur Umsetzung von Richtlinienrecht der Europäischen Gemeinschaft
besondere Verantwortung für die verfassungsgemäße Umsetzung ergibt sich auch
aus dem Umstand, dass es sich um Maßnahmen aus dem Bereich der "dritten
Säule" der Europäischen Union handelt. Der Rahmenbeschluss über den
Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten
der Europäischen Union vom 13. Juni 2002 ist ein sekundärer Unionsrechtsakt,
der die Zielvorgabe des EU-Vertrages rechtlich ausfüllt. Der Rahmenbeschluss
ist nach Art. 34 Abs. 2 lit. b EU im Hinblick auf das "zu
erreichende Ziel" verbindlich. Die unionsrechtliche Handlungsform ist zwar
in ihrer Konzeption der Richtlinie des supranationalen Gemeinschaftsrechts
nachgebildet, weicht jedoch in mehrfacher Hinsicht von dieser
Sekundärrechtsquelle ab. Ein Rahmenbeschluss ist nicht unmittelbar wirksam
(Art. 34 Abs. 1 lit. b EU), er bleibt für seine innerstaatliche
Gültigkeit darauf angewiesen, dass er von den Mitgliedstaaten in das nationale
Recht umgesetzt wird. Mit dem in den EU-Vertrag aufgenommenen Ausschluss der
unmittelbaren Anwendbarkeit wollten die Mitgliedstaaten insbesondere
verhindern, dass die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur
unmittelbaren Anwendbarkeit von Richtlinien auch auf den Rahmenbeschluss
erstreckt wird (zur sogenannten "vertikalen Direktwirkung" von
Richtlinien siehe EuGH, verb. Rs. C-6/90 und C-9/90, Slg. 1991, I-5357
Rn. 11 – Francovich u.a.; Rs. C-62/00, Slg. 2002, I-6325 Rn. 25
– Marks & Spencer; zusammenfassend Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen
der Europäischen Union, 2. Aufl. 2002, Rn. 341 ff.).
Als Handlungsform des
Unionsrechts steht der Rahmenbeschluss außerhalb der supranationalen
Entscheidungsstruktur des Gemeinschaftsrechts (vgl. zum Unterschied von Unions-
und Gemeinschaftsrecht BVerfGE 89, 155 <196>).
Das Unionsrecht ist trotz des fortgeschrittenen Integrationsstandes weiterhin
eine Teilrechtsordnung, die bewusst dem Völkerrecht zugeordnet ist. So muss ein
Rahmenbeschluss einstimmig vom Rat gefasst werden, er bedarf der Umsetzung
durch die Mitgliedstaaten, und die Umsetzung ist nicht gerichtlich
durchsetzbar. Das Europäische Parlament, eigenständige Legitimationsquelle des
europäischen Rechts, wird in dem Rechtsetzungsprozess lediglich angehört (vgl.
Art. 39 Abs. 1 EU), was im Bereich der "dritten Säule" den
Anforderungen des Demokratieprinzips entspricht, weil die mitgliedstaatlichen
Legislativorgane die politische Gestaltungsmacht im Rahmen der Umsetzung,
notfalls auch durch die Verweigerung der Umsetzung, behalten.
cc) Gemäß Art. 4
Nr. 7 lit. a und b RbEuHb kann die Vollstreckung des Europäischen
Haftbefehls verweigert werden, wenn dieser sich auf Straftaten erstreckt, die
nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates ganz oder zum
Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten Ort begangen
worden sind, oder die außerhalb des Hoheitsgebiets des
Ausstellungsmitgliedstaates begangen wurden und die Rechtsvorschriften des
Vollstreckungsmitgliedstaates die Verfolgung von außerhalb seines
Hoheitsgebiets begangenen Straftaten gleicher Art nicht zulassen.
Diese Bestimmungen
lassen eine Begrenzung der Auslieferung durch innerstaatliches Recht zu. Der
Gesetzgeber war beim Erlass des Umsetzungsgesetzes zum Rahmenbeschluss verpflichtet,
das Ziel des Rahmenbeschlusses so umzusetzen, dass die dabei unumgängliche
Einschränkung des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit verhältnismäßig ist.
Insbesondere hat der Gesetzgeber über die Beachtung der Wesensgehaltsgarantie
hinaus dafür Sorge zu tragen, dass der Eingriff in den Schutzbereich des
Art. 16 Abs. 2 GG schonend erfolgt. Dabei muss er beachten, dass mit
dem Auslieferungsverbot gerade auch die Grundsätze der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes für den von einer Auslieferung betroffenen Deutschen gewahrt
werden sollen. Die Verlässlichkeit der Rechtsordnung ist wesentliche
Voraussetzung für Freiheit, das heißt für die Selbstbestimmung über den eigenen
Lebensentwurf und seine Umsetzung. In dieser Hinsicht verlangt bereits das Rechtsstaatsprinzip,
dass der Grundrechtsberechtigte sich darauf muss verlassen können, dass sein
dem jeweils geltenden Recht entsprechendes Verhalten nicht nachträglich als
rechtswidrig qualifiziert wird (vgl. zur zeitlichen Komponente der Anwendung
von Rechtsvorschriften BVerfGE 45, 142
<167 f.>; 63, 343
<357>).
Das Vertrauen des
Verfolgten in die eigene Rechtsordnung ist von Art. 16 Abs. 2 GG in
Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip dann in besonderer Weise geschützt, wenn
die dem Auslieferungsersuchen zu Grunde liegende Handlung ganz oder teilweise
auf deutschem Staatsgebiet, auf deutschen Schiffen und Luftfahrzeugen oder an
Orten unter deutscher Hoheitsgewalt begangen wurde. Straftatvorwürfe mit einem
insofern maßgeblichen Inlandsbezug sind bei tatverdächtigen deutschen
Staatsangehörigen prinzipiell im Inland durch deutsche Strafermittlungsbehörden
aufzuklären.
Ein maßgeblicher
Inlandsbezug liegt jedenfalls dann vor, wenn wesentliche Teile des Handlungs-
und Erfolgsortes auf deutschem Staatsgebiet liegen. In dieser Konstellation
treffen die Verantwortung des Staates für die Unversehrtheit seiner
Rechtsordnung und die grundrechtlichen Ansprüche des Verfolgten dergestalt
zusammen, dass regelmäßig ein Auslieferungshindernis entsteht. Wer als
Deutscher im eigenen Rechtsraum eine Tat begeht, muss grundsätzlich nicht mit
einer Auslieferung an eine andere Staatsgewalt rechnen. Wäre dies anders, so
geriete eine so beschaffene Einschränkung des Schutzes vor Auslieferung bereits
in die Nähe des Wesengehalts des Grundrechts. Für den Verfolgten bedeutet die
Überstellung in eine andere, auch in eine durch die europäische Integration
näher gerückte, mitgliedstaatliche Rechtsordnung nicht nur eine
verfahrensrechtliche Schlechterstellung, die in Sprachhindernissen, kulturellen
Unterschieden sowie andersartigem Prozessrecht und Verteidigungsmöglichkeiten
liegen kann. Sie bindet ihn auch im Ergebnis an ein materielles Strafrecht, das
er demokratisch mitzugestalten nicht in der Lage war, das er - anders als
das deutsche Strafrecht - nicht kennen muss und das ihm in vielen Fällen
wegen mangelnder Vertrautheit der jeweiligen nationalen öffentlichen Kontexte
auch keine hinreichend sichere Parallelwertung in der Laiensphäre erlaubt.
Anders fällt die
Beurteilung aus, wenn die vorgeworfene Tat einen maßgeblichen Auslandsbezug
hat. Wer in einer anderen Rechtsordnung handelt, muss damit rechnen, auch hier
zur Verantwortung gezogen zu werden. Dies wird regelmäßig der Fall sein, wenn
die Tathandlung vollständig oder in wesentlichen Teilen auf dem Territorium
eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union begangen wurde und der
Erfolg dort eingetreten ist. Der Umstand, dass es dem Verfolgten nach Begehung
einer Tat möglicherweise gelingt, in seinen Heimatstaat zu fliehen, ist insoweit
nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Der Auslandsbezug ist auch und gerade
dann anzunehmen, wenn die Tat von vornherein eine typische grenzüberschreitende
Dimension hat und eine entsprechende Schwere aufweist, wie beim internationalen
Terrorismus oder beim organisierten Drogen- oder Menschenhandel; wer sich in
solche verbrecherische Strukturen einbindet, kann sich auf den Schutz der
Staatsangehörigkeit vor Auslieferung nicht in vollem Umfang berufen.
Während in den
genannten Fallgestaltungen das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung in
aller Regel vorgezeichnet ist, bedarf es der konkreten Abwägung im Einzelfall,
wenn ganz oder teilweise in Deutschland gehandelt worden, der Erfolg aber im
Ausland eingetreten ist. In diesen Fällen werden insbesondere das Gewicht des
Tatvorwurfs und die praktischen Erfordernisse und Möglichkeiten einer
effektiven Strafverfolgung mit den grundrechtlich geschützten Interessen des
Verfolgten unter Berücksichtigung der mit der Schaffung eines Europäischen
Rechtsraums verbundenen Ziele zu gewichten und zueinander ins Verhältnis zu
setzen sein.
Soweit der Gesetzgeber
die ihm durch Art. 4 Nr. 7 lit. a RbEuHb eröffneten Spielräume
nicht durch tatbestandliche Konkretisierung nutzt, hat er mit seinem
gesetzlichen Prüfungsprogramm dafür Sorge zu tragen, dass die das Gesetz
ausführenden Stellen in einem Auslieferungsfall in eine konkrete Abwägung der
widerstreitenden Rechtspositionen eintreten. Die Vorgaben von Art. 20 und
Art. 1 GG an den verfassungsändernden Gesetzgeber sind nicht bereits
dadurch erfüllt, dass Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG abstrakt und
generell die Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze in der ersuchenden
Rechtsordnung einfordert und das deutsche Ausführungsgesetz eine entsprechende
Konkordanz rechtsstaatlicher Mindeststandards feststellt. Das Grundgesetz
fordert bei der Auslieferung von Personen, insbesondere von eigenen
Staatsangehörigen, zusätzlich die konkrete Prüfung in jedem Einzelfall, ob die
entsprechenden Rechte des Verfolgten gewahrt sind. Diese Prüfung ist gerade
auch deshalb notwendig, weil die souveräne Strafgewalt anderer Staaten
prinzipiell nicht an das Territorialitätsprinzip gebunden ist und nach
klassischer völkerrechtlicher Vorstellung neben dem Erfordernis eines
geringfügigen Bezuges der inkriminierten Handlung zum strafenden Staat dadurch
begrenzt wird, dass es die freie Entscheidung aller anderen Staaten ist, ob sie
Rechtshilfe in Strafsachen leisten (vgl. Maierhöfer, Weltrechtsprinzip und
Immunität: das Völkerstrafrecht vor den Haager Richtern: Besprechung des
Urteils des IGH vom 14. Februar 2002 <Demokratische Republik Kongo
gegen Belgien>, EuGRZ 2003, S. 545 ff.). Insofern hat der
Rahmenbeschluss lediglich das Muster einer gerichtlich nicht kontrollierbaren
politischen Entscheidung hin zu einer juristischen Abwägung verschoben, bei der
die Vereinfachungsziele des Rahmenbeschlusses angemessen zu würdigen sind.
d) Diesen
verfassungsrechtlichen Anforderungen wird das Europäische Haftbefehlsgesetz
nicht gerecht. Der vom Gesetz eingeschlagene Weg zur Erreichung der Ziele des
Rahmenbeschlusses greift unverhältnismäßig in die Auslieferungsfreiheit nach
Art. 16 Abs. 2 GG ein.
aa) Der Gesetzgeber hat
es versäumt, den grundrechtlich besonders geschützten Belangen deutscher
Staatsangehöriger bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses hinreichend Rechnung
zu tragen. § 80 IRG unterscheidet insofern zwischen Deutschen, die an
einen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgeliefert werden sollen, und
Nichtdeutschen nur, indem er von der in Art. 5 Abs. 3 des
Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl eingeräumten Möglichkeit
Gebrauch macht, die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an Bedingungen
hinsichtlich der Rücküberstellung zur Strafverbüßung zu knüpfen. Nach § 80
IRG ist die Auslieferung eines Deutschen zum Zwecke der Strafverfolgung nur
dann zulässig, wenn der ersuchende Mitgliedstaat anbietet, den Deutschen nach
Verhängung der rechtskräftigen Freiheitsstrafe oder einer sonstigen Sanktion
auf seinen Wunsch hin in den Geltungsbereich des Gesetzes über die
Internationale Rechtshilfe in Strafsachen zurückzuüberstellen.
Auslieferungsschutz
besteht darüber hinaus nur in dem auch für Ausländer geltenden Umfang. Danach
bleibt es dabei, dass die Auslieferung insbesondere dann nicht zulässig ist, wenn
ernstliche Gründe für die Annahme bestehen, dass der Verfolgte im Fall seiner
Auslieferung wegen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Staatsangehörigkeit,
seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner
politischen Anschauungen verfolgt oder bestraft oder dass seine Lage aus einem
dieser Gründe erschwert werden würde (§ 6 Abs. 2 IRG). Diese
Schutzvorschrift gilt auch bei Auslieferungen auf Grund eines Europäischen
Haftbefehls (§ 82 IRG).
Weiterhin ist nach
§ 9 Nr. 1 IRG die Auslieferung wegen Taten untersagt, für die die
deutsche Gerichtsbarkeit begründet ist, wenn ein Gericht oder eine Behörde im
Geltungsbereich dieses Gesetzes gegen den Verfolgten wegen der Tat ein Urteil
oder eine Entscheidung mit entsprechender Rechtswirkung erlassen oder die
Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt (§ 204 StPO), einen Antrag auf
Erhebung der öffentlichen Klage verworfen hat (§ 174 StPO) oder das
Verfahren nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen (§ 153a StPO) oder
schließlich das Verfahren gemäß § 45, § 47 JGG eingestellt wurde. Mit
dieser Vorschrift wird das grundsätzlich nur innerstaatlich geltende Verbot der
Doppelbestrafung auf die Auslieferung zum Zweck einer weiteren Strafverfolgung
erstreckt. Zugleich wird aber auch dem verfassungsrechtlich gebotenen
Auslieferungsschutz für die Fälle genügt, in denen ein Deutscher vor der
Entscheidung über die Auslieferung sich bereits in Deutschland mit
entsprechenden verfahrensabschließenden Entscheidungen zu verantworten hatte.
Kommt das Auslieferungsersuchen allerdings einer solchen Verfahrensbeendigung
zuvor oder wird in Deutschland gar kein entsprechendes Verfahren eröffnet,
steht nach dem in der Fassung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes geltenden
Gesetz über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen der Auslieferung
eines Deutschen, dem eine Tat mit Inlandsbezug vorgeworfen wird, nichts
entgegen. Aus der Sicht des Grundrechtsberechtigten besteht insofern für ihn
eine gesetzliche Schutzlücke.
bb) Eine besondere
grundrechtliche Eingriffswirkung entsteht dort, wo der Bürger für nicht ohne
weiteres erwartbare Fernwirkungen seines Handelns in Deutschland von anderen
Mitgliedstaaten zur Verantwortung gezogen werden soll oder er mit sachlich und
personell ausgedehnten Strafverfolgungsansprüchen einzelner Mitgliedstaaten
konfrontiert wird. Diese Eingriffswirkung wird noch verstärkt, wenn die von dem
ersuchenden Staat vorgeworfene Handlung nach deutschem Recht straflos ist.
Der Gesetzgeber hätte
eine grundrechtsschonendere Umsetzung wählen können, ohne gegen die bindenden
Ziele des Rahmenbeschlusses zu verstoßen, denn der Rahmenbeschluss enthält
Ausnahmemöglichkeiten, die es der Bundesrepublik Deutschland ermöglichen, den
aus Art. 16 Abs. 2 GG folgenden grundrechtlichen Anforderungen Rechnung
zu tragen. Art. 4 Nr. 7 RbEuHb erlaubt es den vollstreckenden
Justizbehörden der Mitgliedstaaten, die Vollstreckung des Haftbefehls zu
verweigern, wenn er zum einen sich auf Straftaten erstreckt, die nach den
Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates ganz oder zum Teil in
dessen Hoheitsgebiet oder an einem gleichgestellten Ort begangen worden sind
(Art. 4 Nr. 7 lit. a RbEuHb) oder wenn der Haftbefehl sich zum
anderen auf Straftaten erstreckt, die außerhalb des Ausstellungsmitgliedstaates
begangen wurden und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaates
die Verfolgung von außerhalb seines Hoheitsgebiets begangenen Straftaten
gleicher Art nicht zulassen (Art. 4 Nr. 7 lit. b RbEuHb). Jedenfalls
bei Taten mit maßgeblichem Inlandsbezug in dem dargelegten Sinn musste der
Gesetzgeber die tatbestandliche Möglichkeit und die Rechtspflicht schaffen, die
Auslieferung Deutscher zu verweigern.
Ferner hatte der
Gesetzgeber über eine Verstärkung der Rechtsstellung Deutscher über das in
§ 9 IRG Geregelte hinaus zu entscheiden. Der Rahmenbeschluss erlaubt es,
die Auslieferung zu verweigern, wenn wegen derselben Handlung, auf Grund deren
der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, der
Vollstreckungsmitgliedstaat den Betroffenen strafrechtlich verfolgt
(Art. 4 Nr. 2 RbEuHb) oder die Ermittlungsbehörden beschlossen haben,
wegen der Straftat, auf Grund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt
worden ist, kein Verfahren einzuleiten oder das Verfahren einzustellen
(Art. 4 Nr. 3 RbEuHb). Insofern kommt dem staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahren eine zusätzliche individualrechtsschützende Funktion zu,
die bei der innerstaatlichen Umsetzung des Rahmenbeschlusses hätte beachtet
werden müssen. In diesem Zusammenhang hätte der Gesetzgeber auch die Regelungen
der Strafprozessordnung daraufhin überprüfen müssen, ob und inwieweit
Entscheidungen der Staatsanwaltschaft, von einer Strafverfolgung abzusehen, im
Hinblick auf eine mögliche Auslieferung an einen Mitgliedstaat gerichtlich
überprüfbar sein müssen. Auch hierdurch kann bereits im Vorfeld einer
Entscheidung über die Auslieferung sichergestellt werden, dass ein Deutscher,
der die Bundesrepublik Deutschland nicht verlassen und sich nach deutschem
Recht nicht strafbar gemacht hat, auch nicht ausgeliefert wird.
cc) Die Ausschöpfung
dieser durch das Rahmenrecht vorgegebenen Spielräume bei der Umsetzung in das
nationale Recht hätte einen Verstoß des Europäischen Haftbefehlsgesetzes gegen
das Grundrecht auf Auslieferungsschutz und die insoweit anwendbaren
rechtsstaatlichen Grundsätze vermieden. Auf die zum Schutz der betroffenen
Grundrechte gebotene Ausschöpfung dieses Rahmens insoweit zu verzichten, war
der Gesetzgeber nicht befugt, auch nicht unter Berücksichtigung der
gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. Der Gesetzgeber hat die ihm von
Art. 16 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip
aufgegebene Abwägung zwischen dem grenzüberschreitenden europäischen
Strafverfolgungsinteresse und den aus dem Statusrecht als Deutscher folgenden Schutzanspruch
verfehlt. Er hat bereits den durch den besonderen Gesetzesvorbehalt des
Art. 16 Abs. 2 GG erteilten Abwägungsauftrag nicht gesehen, ihn
jedenfalls in der Sache nicht durch ein ausreichendes Maß an
Auslieferungsschutz ausgeführt.
Wenn der deutsche
Gesetzgeber auf der Grundlage des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG den
Auslieferungsschutz Deutscher in verfassungsgemäßer Weise einschränken will,
muss er die Vollstreckungsbehörde mit rechtsstaatlich bestimmten Tatbeständen
zumindest in den Stand setzen, das insoweit geschützte Vertrauen des
Staatsangehörigen in die deutsche Rechtsordnung im Einzelfall entsprechend
diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu gewichten. Die allgemeine Bindung
des Richters an Grundrechte in Verbindung mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit (Art. 1 Abs. 3 GG) genügt diesen Anforderungen an
ein grundrechtsbeschränkendes Gesetz nicht.
dd) Sofern die
verfassungsrechtlich notwendige Unterscheidung zwischen einer vorgeworfenen
Straftat mit Inlandsbezug von einer solchen mit maßgeblichem Auslandsbezug
gewahrt würde, schiede eine Kollision mit dem besonderen Rückwirkungsverbot
nach Art. 103 Abs. 2 GG von vornherein aus, so dass dessen Tragweite
für Konstellationen wie diese nicht abschließend bestimmt werden muss. Der
Grundsatz, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit
gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde, ist eine spezielle
rechtsstaatliche Garantie des Vertrauens in die Verlässlichkeit der
Rechtsordnung, die eine klare Orientierung zu geben hat, was strafbar und was
straflos ist. Ohne eine solch verlässliche Orientierung vermag sich
individuelle Freiheit nicht zu entfalten: Wer mit einer unvorhersehbaren
rückwirkenden Änderung von Strafnormen rechnen muss, kann seine
Handlungsfreiheit nicht mehr mit der nötigen Sicherheit ausüben und verliert in
einem der grundrechtssensibelsten Bereiche seine Stellung als
selbstverantwortliches Subjekt. Das Rückwirkungsverbot gilt zwar nur bei
Änderungen des materiellen Strafrechts und nicht bei solchen des
Verfahrensrechts, zu dem auch das Auslieferungsrecht gerechnet wird (vgl. OLG
Braunschweig, Beschluss vom 3. November 2004 - Ausl. 5/04 -, NStZ-RR
2005, S. 18 <19>; BVerfGE 109, 13 <37>).
Einer materiellen rückwirkenden Rechtsänderung könnte es jedoch gleichstehen,
wenn sich ein bislang vor Auslieferung absolut geschützter Deutscher für Taten
in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union verantworten muss, die keinen
maßgeblichen Auslandsbezug aufweisen und zum Zeitpunkt ihrer Begehung in
Deutschland straffrei waren.
ee) Die aufgezeigten
Defizite der gesetzlichen Regelung werden auch nicht dadurch hinreichend
kompensiert, dass nach § 80 Abs. 1 IRG die Auslieferung eines
Deutschen zum Zwecke der Strafverfolgung nur zulässig ist, wenn gesichert ist,
dass der ersuchende Mitgliedstaat nach Verhängung einer rechtskräftigen
Freiheitsstrafe oder sonstigen Sanktion anbieten wird, den Verfolgten auf
seinen Wunsch zur Vollstreckung nach Deutschland zurückzuüberstellen. Die
Strafvollstreckung im Inland ist zwar grundsätzlich eine Schutzmaßnahme für die
eigenen Staatsbürger, aber sie betrifft lediglich die Vollstreckung und nicht
die Strafverfolgung.
Zudem wird der
Gesetzgeber zu prüfen haben, ob das Zulässigkeitshindernis der fehlenden
Zusicherung des ersuchenden Staates, die Rücküberstellung des Verfolgten zur
Strafvollstreckung dem ersuchten Staat anzubieten, eine zureichende Maßnahme
ist. Mit dem Erfordernis der Rücküberstellung soll nach dem Willen des
Gesetzgebers dem Grundsatz der Resozialisierung entsprochen werden. Der
Gesetzgeber hat jedoch bereits im Gesetzgebungsverfahren eingeräumt, dass es
Einzelfälle geben könne, in denen die Rücküberstellung einer auszuliefernden
Person an der fehlenden Strafbarkeit des Verfolgten in Deutschland scheitern
könne (vgl. BTDrucks 15/1718, S. 16). Die bloße Zusage einer
Rücküberstellung ist insoweit unzureichend, weil damit noch nichts über die
Möglichkeit der Strafverbüßung in Deutschland gesagt ist.
2. Die fehlende
Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung in einem Verfahren betreffend die
Auslieferung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach dem achten Teil
des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (vgl.
§§ 78 ff. IRG) verstößt gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Die
gerichtliche Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung im
Auslieferungsverfahren wurde zwar von der Praxis und in der Literatur bislang
abgelehnt, weil die außen- und allgemeinpolitischen Aspekte zum Kernbereich der
Exekutive gehörten. Dies kann aber nicht mehr gelten, wenn die
Bewilligungsentscheidung die gesetzliche Einschränkung eines Grundrechts
konkretisiert.
a) Art. 19
Abs. 4 GG gewährleistet ein Grundrecht auf wirksamen Rechtsschutz gegen
Akte der öffentlichen Gewalt (aa), soweit diese in die Rechte des Betroffenen eingreifen (bb).
aa) Art. 19
Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen
richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE
8, 274 <326>; 67, 43
<58>; 96, 27 <39>;
104, 220 <231>; stRspr).
Die grundgesetzliche Garantie umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung
des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche
gerichtliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 107, 395
<401>). Der Bürger hat einen substantiellen
Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE
40, 272 <275>; 93, 1
<13>; stRspr).
Zur Gewährleistung
wirksamen Rechtsschutzes gehört vor allem, dass dem Richter eine hinreichende
Prüfungsbefugnis hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Seite eines
Streitfalls zukommt, damit er einer Rechtsverletzung abhelfen kann. Das Gebot
effektiven Rechtsschutzes schließt allerdings nicht aus, dass je nach Art der
zu prüfenden Maßnahme wegen der Einräumung von Gestaltungs-, Ermessens- und
Beurteilungsspielräumen eine unterschiedliche Kontrolldichte zustande kommt
(vgl. BVerfGE 61, 82 <111>;
84, 34 <53 ff.>).
bb) Die
Rechtsweggarantie setzt voraus, dass dem Betroffenen eine Rechtsposition
zusteht; die Verletzung bloßer Interessen reicht nicht aus (vgl. BVerfGE
31, 33 <39 ff.>; 83,
182 <194>). Diese Rechtsposition kann sich aus
einem anderen Grundrecht oder einer grundrechtsgleichen Gewährleistung ergeben,
aber auch durch Gesetz begründet sein, wobei der Gesetzgeber bestimmt, unter
welchen Voraussetzungen dem Bürger ein Recht zusteht und welchen Inhalt es hat
(vgl. BVerfGE 78, 214 <226>;
83, 182 <195>).
Diese Grundsätze gelten
auch, wenn ein Gesetz eine Maßnahme in das Ermessen der zuständigen Behörde
stellt. Gibt das Entscheidungsprogramm des Gesetzes der Behörde auf, bei der
Ermessensausübung auch rechtlich geschützte Interessen des Betroffenen zu
berücksichtigen, so greift die Rechtsschutzgarantie des Art. 19
Abs. 4 GG. Schützt die Norm demgegenüber keine rechtlichen Interessen
des Betroffenen, muss die Ermessensentscheidung für ihn nicht justitiabel sein;
im Grenzbereich verdient die grundrechtsfreundliche Interpretation den Vorzug
(vgl. BVerfGE 96, 100 <114 f.>
m.w.N.).
Im Hinblick auf die
Bewilligung im klassischen Auslieferungsverfahren hat das
Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung bislang offen gelassen, ob
die Bewilligungsentscheidung mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden
kann, ist aber von einer in jedem Fall nur eingeschränkten Prüfungsmöglichkeit
ausgegangen (vgl. BVerfGE 63, 215 <226>;
Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts
<Vorprüfungsausschuss> vom 16. März 1983 - 2 BvR 429/83 -,
EuGRZ 1983, S. 262 f.; aus der neueren Rechtsprechung der
Fachgerichte vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 26. März 2001 - 2 S
2/01 -, OVGE 23, 232 = NVwZ 2002, S. 114 einerseits und Beschluss des
VG Berlin vom 12. April 2005 - VG 34 A 98.04 -
andererseits). Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat in einer
Entscheidung zur parallelen Problematik der Überstellung von Strafgefangenen
die Nichtanfechtbarkeit der Exekutiventscheidung als mit Art. 19
Abs. 4 GG vereinbar angesehen, weil durch die Entscheidung keine
rechtlichen Interessen des Betroffenen berührt worden seien (vgl. BVerfGE
96, 100 ff.).
cc) Die Bewilligung ist
die Entscheidung der Exekutive, dem Ersuchen eines ausländischen Staates auf
Auslieferung einer gesuchten Person stattzugeben. In der Bundesrepublik
Deutschland liegt die Zuständigkeit für die Bewilligung bei der Bundesregierung
und wird durch das Bundesministerium der Justiz im Einvernehmen mit dem
Auswärtigen Amt ausgeübt. Der Bund hat die Ausübung seiner Befugnisse zur
Entscheidung über eingehende Ersuchen auf der Grundlage von § 74
Abs. 2 IRG teilweise auf die Länder übertragen, die ihrerseits die
Befugnisse auf ihre nachgeordneten Behörden delegieren können (vgl. die am
1. Mai 2004 in Kraft getretene Vereinbarung zwischen der Bundesregierung
und den Landesregierungen über die Zuständigkeit im Rechtshilfeverkehr mit dem
Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten vom 28. April 2004, Bundesanzeiger
2004, S. 11494). In dieser Regelung kommt zum Ausdruck, dass
Auslieferungen als Teil der auswärtigen Beziehungen einzuordnen sind, für die
der Bund gemäß Art. 32 Abs. 1 GG die ausschließliche Zuständigkeit
hat (vgl. BVerfGE 96, 100 <117>).
Aus der historisch
begründeten Zweiteilung des deutschen Auslieferungsverfahrens in das
Zulässigkeits- und das Bewilligungsverfahren folgte bislang eine Unterscheidung
im Hinblick auf die Funktion der beiden Verfahrensstadien und die damit
einhergehenden Rechtsschutzmöglichkeiten des Verfolgten. Das
Zulässigkeitsverfahren diente und dient in der hergebrachten Zweiteilung dem
präventiven Rechtsschutz des Verfolgten, während das Bewilligungsverfahren die
Berücksichtigung außen- und allgemeinpolitischer Aspekte des jeweiligen Falles
ermöglichen soll. Daher war die gerichtliche Anfechtung der
Bewilligungsentscheidung in der Praxis nicht möglich und wurde auch in der
Literatur überwiegend abgelehnt (vgl. Vogler, Auslieferungsrecht und
Grundgesetz, 1970, S. 306 ff. m.w.N.; ders., in: Grützner/Pötz,
Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl. 2004, § 12
Rn. 20 ff.; ferner BVerfGE 63, 215 <226>).
b) Das Europäische Haftbefehlsgesetz
hat das Bewilligungsverfahren bei Auslieferungen in Mitgliedstaaten der
Europäischen Union um Ermessenstatbestände erweitert (aa), die dem Schutz des
Verfolgten dienen und deshalb der Rechtsschutzgarantie unterworfen sind (bb).
Ein effektiver Rechtsschutz setzt zwingend voraus, dass die
Auslieferungsunterlagen vollständig vorliegen (cc).
aa) Durch die Änderung
von Art. 16 Abs. 2 GG und das Inkrafttreten des Europäischen
Haftbefehlsgesetzes haben sich die rechtlichen Rahmenbedingungen für
Auslieferungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union grundlegend verändert.
Im Grundsatz gilt nunmehr, dass zulässige Ersuchen von Mitgliedstaaten der
Europäischen Union auf Auslieferung oder Durchlieferung nur abgelehnt werden
können, soweit dies im achten Teil des Gesetzes über die Internationale
Rechtshilfe in Strafsachen vorgesehen ist (vgl. § 79 Satz 1 IRG).
Durch diese Grundregel wird das im klassischen Auslieferungsrecht dem ersuchten
Staat zustehende weite Ermessen prinzipiell beseitigt und das Verfahren
- wie vom zu Grunde liegenden Europäischen Rahmenbeschluss
beabsichtigt - über die schon zuvor bestehenden vertraglichen Bindungen
hinaus verrechtlicht. Das Auslieferungsersuchen kann nur noch unter den
ausdrücklich im nationalen Gesetz genannten Gründen verweigert werden, die
ihrerseits den Zielvorgaben des Rahmenbeschlusses entsprechen müssen.
Das Europäische
Haftbefehlsgesetz versucht, den grundrechtlich geschützten Interessen der
Bürger durch die teilweise Übernahme der im Rahmenbeschluss vorgesehenen
Gründe, aus denen die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abgelehnt
werden kann (vgl. Art. 4 RbEuHb), Rechnung zu tragen. Der Rahmenbeschluss
hat den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dabei einen Spielraum gegeben,
die in Art. 4 des Rahmenbeschlusses aufgezählten Ablehnungsgründe als
fakultative oder obligatorische Auslieferungshindernisse im nationalen Recht zu
konkretisieren. Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Umsetzung von
Art. 4 im Wesentlichen für eine Ermessenslösung entschieden (vgl.
§ 83b IRG: "Die Bewilligung der Auslieferung kann abgelehnt werden,
wenn […]") und sie gleichzeitig zu einem Bestandteil des
Bewilligungsverfahrens gemacht. § 83b IRG nennt insgesamt fünf
verschiedene Sachverhaltskonstellationen, die die Ablehnung eines
Auslieferungsersuchens tragen können. In der Gesetzesbegründung zu § 83b
IRG heißt es, dass die Entscheidung über das Vorliegen von
Bewilligungshindernissen im Einzelfall von der Bewilligungsbehörde nach
pflichtgemäßem Ermessen mit einem weiten, auch außenpolitischen Gründen
zugänglichen Spielraum getroffen werde. Die Bewilligungsbehörde könne
Bewilligungshindernisse durch die Stellung von Bedingungen beseitigen, so dass
alle Umstände des Einzelfalles angemessen berücksichtigt werden könnten
(BTDrucks 15/1718, S. 15).
bb) Die Ergänzung des
Bewilligungsverfahrens um benannte Ablehnungsgründe führt dazu, dass die
Bewilligungsbehörde bei Auslieferungen in einen Mitgliedstaat der Europäischen
Union nicht mehr nur über unbenannte außen- und allgemeinpolitische Aspekte des
Auslieferungsersuchens entscheidet, sondern in einen Abwägungsprozess eintreten
muss, der insbesondere die Strafverfolgung im Heimatstaat zum Gegenstand hat.
Folglich wird den zuständigen deutschen Behörden einerseits ein Beurteilungs-
und Ermessensspielraum zugewiesen, während andererseits zugleich eine
verfassungsrechtlich begründete Schutzpflicht gegenüber deutschen
Staatsangehörigen besteht. Diese Verrechtlichung der Bewilligung einer
Auslieferung in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union erfüllt bereits die
Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 4 GG. Die bei der Bewilligung zu
treffende Abwägungsentscheidung dient dem Schutz der Grundrechte des Verfolgten
und darf richterlicher Überprüfung nicht entzogen werden. Die Prüfung, ob die
dem Ersuchen zu Grunde liegende Tat nach dem Recht des ersuchenden
Mitgliedstaates mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer sonstigen
lebenslangen freiheitsentziehenden Sanktion bedroht ist oder der Verfolgte zu
einer solchen Strafe verurteilt worden war und eine Überprüfung der
Vollstreckung der verhängten Strafe oder Sanktion auf Antrag oder von Amts
wegen nicht spätestens nach 20 Jahren erfolgt (§ 83b Nr. 4 IRG), ist
keine Frage außenpolitischer Beurteilungsfreiheit, sondern eine, die in gravierender
Weise den Grundrechtsschutz des Verfolgten bis hin zur Garantie der
Menschenwürde betrifft. Soweit der Gesetzgeber im Hinblick auf den Schutz
eigener Staatsbürger von Verfassungs wegen weitere Tatbestände regeln muss, die
bei einer Entscheidung über die Auslieferung zu berücksichtigen sind, fordert
Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls, dass die Auslieferungsentscheidung
insoweit gerichtlich überprüfbar ist.
Dass auch der
Gesetzgeber die subjektivrechtliche Bedeutung der Bewilligungsentscheidung
erkannt hat, zeigt sich daran, dass die Bewilligungsentscheidung zu begründen
ist (vgl. § 79 Satz 2 IRG). Diese Regelung, die in der Fassung des
Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe vor dem Inkrafttreten des
Europäischen Haftbefehlsgesetzes nicht enthalten war, ist erst im Laufe des
Gesetzgebungsverfahrens dahingehend ausgestaltet worden, dass nicht nur der
ersuchende Staat – wie ursprünglich vorgesehen –, sondern auch der Verfolgte
eine Begründung erhält. Die Regelung verpflichtet dazu, dem Verfolgten die
begründete Bewilligungsentscheidung zur Kenntnis zu geben, so dass weitere
Kriterien erfüllt sind, die Bewilligung als klassischen Verwaltungsakt
einzuordnen (vgl. § 41 Abs. 1 VwVfG), der der Überprüfung durch die
rechtsprechende Gewalt unterliegt.
cc) Zur gebotenen
Effektivität des Rechtsschutzes gehört auch, dass die Auslieferungsunterlagen
oder ein ihnen gleichstehender Europäischer Haftbefehl eine den betroffenen
Grundrechten angemessene gerichtliche Überprüfung erlauben. Damit unvereinbar
ist, dass § 83a IRG zwar auf die Auslieferungsunterlagen Bezug nimmt und
für den Europäischen Haftbefehl bestimmte Mindestangaben formuliert, aber deren
vollständiges Vorliegen – anders als § 10 IRG für herkömmliche
Auslieferungsverfahren - nicht zu einer zwingenden Voraussetzung der
Zulässigkeitsentscheidung macht. Die Ausgestaltung des § 83a Abs. 1
IRG als Soll-Vorschrift hat bereits in der kurzen Zeit nach dem Inkrafttreten
des Europäischen Haftbefehlsgesetzes dazu geführt, dass die Vollständigkeit der
Auslieferungsunterlagen in konkreten Auslieferungsverfahren unter Hinweis auf
den Gesetzeswortlaut als für die Zulässigkeit eines Ersuchens entbehrlich
angesehen wurde (siehe OLG Stuttgart, Beschluss vom 7. September 2004
- 3 Ausl. 80/04 -, NJW 2004, S. 3437 <3438>; vgl. auch
Seitz, a.a.O., S. 546 <548>). Die Abweichung von der zwingenden
Formulierung des § 10 IRG lässt sich auch nicht damit rechtfertigen, dass
ein "Sollen" regelmäßig eine Rechtsbindung erzeugt, aber bei
Vorliegen besonderer Umstände ein Abweichen erlaubt. Für einen effektiven
Schutz des Grundrechts aus Art. 16 Abs. 2 GG müsste dann der
Gesetzgeber klarstellen, wann solche Umstände gegeben sind.
II.
Das Europäische
Haftbefehlsgesetz ist nichtig (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG); eine
verfassungskonforme Auslegung oder die Feststellung einer Teilnichtigkeit
scheiden aus, weil der deutsche Gesetzgeber in normativer Freiheit unter
Beachtung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe erneut über die Ausübung des
qualifizierten Gesetzesvorbehalts in Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG
entscheiden können muss (1.). Solange der Gesetzgeber kein neues
Ausführungsgesetz zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG erlässt, ist die
Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an einen Mitgliedstaat der
Europäischen Union unzulässig (2.).
1. Die
verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Auslieferung Deutscher sowie die
Grundsätze der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gebieten es, dass das
Ausführungsgesetz zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG aus sich heraus
verständlich ist und die Auslieferungsentscheidungen hinreichend
vorherbestimmt. Die verfassungsrechtlich gebotene Konkretisierung bedarf einer
Abbildung im Gesetzestext, die durch eine verfassungskonforme Auslegung des
Europäischen Haftbefehlsgesetzes oder dessen Teilnichtigkeit nicht erreichbar
ist.
Der Gesetzgeber wird
die Gründe für die Unzulässigkeit der Auslieferung Deutscher neu zu fassen
haben und die Einzelfallentscheidung über die Auslieferung als abwägenden
Vorgang der Rechtsanwendung ausgestalten. Das primäre Unionsrecht thematisiert
zwar mit Art. 6 EU die Frage der Homogenität der Strukturen zwischen den
Mitgliedstaaten. Die bloße Existenz dieser Vorschrift, eines die
Strukturprinzipien absichernden Sanktionsmechanismus (Art. 7 EU), und
eines gesamteuropäischen Standards des Menschenrechtsschutzes durch die
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
rechtfertigen aber nicht die Annahme, dass die rechtsstaatlichen Strukturen
unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union materiell synchronisiert sind
und eine entsprechende nationale Einzelfallprüfung deshalb überflüssig ist.
Insoweit kann durch das Inkraftsetzen eines strikten Grundsatzes der
gegenseitigen Anerkennung und der damit verbundenen weitgehenden gegenseitigen
Vertrauensbekundung der Staaten untereinander die verfassungsrechtliche
Gewährleistung der Grundrechte nicht eingeschränkt werden (vgl. dazu auch
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, - Waite und Kennedy, NJW 1999,
S. 1173 <1175>; – Matthews, NJW 1999, S. 3107 <3108>).
Des Weiteren sind
Änderungen bei der Ausgestaltung der Bewilligungsentscheidung und ihres
Verhältnisses zur Zulässigkeit notwendig. Der Ausschluss der Anfechtbarkeit der
Bewilligungsentscheidung (§ 74b IRG) ist eine zentrale Vorschrift des
Gesetzes, die stellvertretend für die Gesamtkonzeption des zweistufigen
deutschen Auslieferungsverfahrens steht. Es war der erklärte Wille des
Gesetzgebers, den Rahmenbeschluss unter Beibehaltung der bestehenden Struktur
des deutschen Auslieferungsrechts umzusetzen. Die Anreicherung des
Bewilligungsverfahrens um weitere ermessensgebundene Tatbestände führt zu einer
qualitativen Veränderung der Bewilligung, die mit einer Rechtsschutzmöglichkeit
verbunden werden muss.
Ist die
Bewilligungsentscheidung zumindest bei der Auslieferung Deutscher anfechtbar,
muss der Gesetzgeber über die Konzeption der Auslieferung an Mitgliedstaaten
der Europäischen Union erneut eine Grundentscheidung treffen, die
möglicherweise auch zu einer Veränderung des Auslieferungsrechts im Verhältnis
zu Drittstaaten führen könnte. So ist etwa die Frage des Rechtswegs zu klären,
weil für die Anfechtung eines Verwaltungsaktes grundsätzlich der Rechtsweg zu
den Verwaltungsgerichten eröffnet ist (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO),
es sei denn, der Gesetzgeber nimmt eine Sonderzuweisung vor, wie dies im
klassischen Auslieferungsverfahren mit der sachlichen Alleinzuständigkeit nach
§ 13 IRG der Fall ist.
Ferner könnte bei
gerichtlicher Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung der Grund dafür
entfallen, auf präventiven Rechtsschutz durch ein Zulässigkeitsverfahren
zurückzugreifen. Der Gesetzgeber könnte deshalb zu dem Ergebnis kommen, das
Auslieferungsverfahren zu einem herkömmlichen Verwaltungsverfahren mit
nachgelagertem Rechtsschutz umzugestalten.
Der Teilverzicht auf
den Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit (§ 81 Nr. 4 IRG) ist
ebenfalls eine zentrale Grundentscheidung des Gesetzgebers, die allerdings
durch den Rahmenbeschluss vorgegeben ist. Es kann offen bleiben, ob es mit dem
gebotenen grundrechtlichen Schutzniveau vereinbar ist, nicht die Entscheidung
eines Mitgliedstaates für die Straffreiheit einer Handlung, sondern umgekehrt
die Entscheidung für die Strafbarkeit zur maßgeblichen Grundlage des
Mechanismus der gegenseitigen Anerkennung zu machen. Denn darauf kommt es
jedenfalls für Fälle mit Inlandsbezug nicht an, weil der Gesetzgeber den
Rahmenbeschluss entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben umsetzen kann.
2. Solange der
Gesetzgeber kein neues Ausführungsgesetz zu Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG
erlässt, ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen an einen
Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht möglich. Im Übrigen können
Auslieferungen auf der Grundlage des Gesetzes über die Internationale
Rechtshilfe in Strafsachen in der Fassung vor dem Inkrafttreten des
Europäischen Haftbefehlsgesetzes erfolgen.
III.
Der Beschluss des
Oberlandesgerichts (1.) und die Bewilligungsentscheidung der Freien und
Hansestadt Hamburg (2.) beruhen auf einem verfassungswidrigen Gesetz und sind deshalb
aufzuheben (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG).
1. Der Beschluss des
Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 23. November 2004 ist auf der
Grundlage eines verfassungswidrigen Gesetzes ergangen und kann schon deshalb
keinen Bestand haben.
2. Auch die Bewilligungsentscheidung
beruht auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage und ist bereits aus diesem
Grund aufzuheben.
Die Bewilligungsbehörde
hat das ihr zustehende Ermessen im Übrigen fehlerhaft ausgeübt. Sie hat nicht
erkannt, dass die Bewilligung der Auslieferung eines deutschen
Staatsangehörigen besonderen verfassungsrechtlichen Vorgaben unterliegt, die
bei der Prüfung der Bewilligungshindernisse des § 83b IRG und bei der
Frage der Rücküberstellung nach § 80 Abs. 1 IRG in den Abwägungsprozess
einbezogen werden müssen. So hat sie zwar die Bewilligung mit der Bedingung
verknüpft, dass die spanischen Behörden die Rücküberstellung nach einer
Verurteilung anbieten werden, die Frage, ob eine solche Vollstreckungshilfe
nach dem deutschen Recht überhaupt zulässig ist, jedoch nicht weiter erörtert.
Darüber hinaus wird in
der Bewilligung angegeben, dass der Generalbundesanwalt gegen die Auslieferung
des Beschwerdeführers in Anbetracht des deutschen strafrechtlichen
Ermittlungsverfahrens keine Einwände erhebe. Der Generalbundesanwalt hat in
seinem Schreiben lediglich den Stand der Ermittlungen gegen den
Beschwerdeführer zusammengefasst und darauf hingewiesen, dass die Ermittlungen
wegen Verstoßes gegen § 129a StGB noch nicht abgeschlossen seien.
Der Schutz deutscher
Staatsangehöriger gebietet es, die Durchführung eines innerstaatlichen
strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens bei der Entscheidung über die
Bewilligung der Auslieferung jedenfalls zu berücksichtigen. Dabei werden
strafrechtliche Ermittlungen in Deutschland mit einem entsprechenden
Inlandsbezug der vorgeworfenen Tathandlung regelmäßig dazu führen, dass ein
Bewilligungshindernis vorliegt; insoweit verdichtet sich das Ermessen der
Bewilligungsbehörde, und es bedarf besonderer Begründung, aus welchen Gründen
einem Auslieferungsersuchen dennoch stattgegeben wird. Die bloße Möglichkeit
einer Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union ist keine
rechtspolitische Option, über die allein nach Gesichtpunkten der Opportunität
oder Effektivität der Strafrechtspflege entschieden werden darf.
C.
Die Bundesrepublik
Deutschland hat dem Beschwerdeführer gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG seine
notwendigen Auslagen aus dem Verfahren der einstweiligen Anordnung und der
Verfassungsbeschwerde zu erstatten. Die Pflicht zur Kostentragung trifft im
vorliegenden Fall allein den Bund. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat zwar
die Auslieferung bewilligt, dabei hat sie aber im Wege der Organleihe eine
Zuständigkeit des Bundes ausgeübt. Die Bewilligungsentscheidung wurde im
vorliegenden Fall im Einvernehmen mit den zuständigen Behörden des Bundes
getroffen.
Sowohl die
Bewilligungs- als auch die Zulässigkeitsentscheidung beruhen maßgeblich auf den
Vorschriften, die durch das vom Bundesgesetzgeber zu verantwortende Europäische
Haftbefehlsgesetz in das Auslieferungsrecht eingefügt wurden.
Abweichende Meinung
des Richters Broß
zum Urteil des Zweiten Senats vom 18. Juli 2005
- 2 BvR 2236/04 -
Der Entscheidung der Mehrheit des Senats vermag ich nur insoweit zu folgen,
als das Europäische Haftbefehlsgesetz für nichtig erklärt wird, nicht aber in
wesentlichen Teilen der Begründung, vor allem nicht im Hinblick auf die ohne
jede materielle Einschränkung für zulässig erachtete Auslieferung deutscher
Staatsangehöriger bei Straftaten mit maßgeblichem Auslandsbezug.
Das Gesetz über den Europäischen Haftbefehl ist nicht erst wegen des
Versagens des Gesetzgebers bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses
verfassungswidrig; es ist bereits deshalb nichtig, weil es gegen die in
Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG festgelegten Integrationsschranken verstößt. Denn
das Grundgesetz öffnet die innerstaatliche Rechtsordnung für das Europäische
Gemeinschafts- und Unionsrecht nur insoweit, als die Voraussetzungen des
Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG, namentlich diejenigen des
Subsidiaritätsprinzips, erfüllt sind. Der Gesetzgeber hat dies bei der
Umsetzung des Rahmenbeschlusses zu beachten. Schon daran fehlt es.
1. Das Subsidiaritätsprinzip hat nicht nur eine europäische, unions- und
gemeinschaftsrechtliche (Art. 2 Abs. 2 EU; Art. 5 Abs. 2 EG), sondern
zugleich auch eine nationale Dimension und Bedeutung. Der Integrationsauftrag
des Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zielt auf eine europäische Union ab, die
demokratischen, rechtsstaatlichen, sozialen und föderativen Grundsätzen
entspricht, dem Grundsatz der Subsidiarität verpflichtet ist und einen dem
Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Die
darin zum Ausdruck kommende Struktursicherungsklausel (vgl. amtliche
Begründung, BTDrucks 12/6000, S. 20; Streinz, in: Sachs <Hrsg.>, GG, 3.
Aufl. 2003, Art. 23 Rn. 15) entfaltet rechtliche Binnenwirkung. Sie
verpflichtet die zuständigen Organe der deutschen Integrationsgewalt, vor allem
die Bundesregierung, den Deutschen Bundestag und den Bundesrat, aber letztlich
auch jede andere Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Gewalt wahrnimmt,
verfassungsrechtlich zur Mitwirkung an der Entwicklung einer Union, die den
genannten Strukturprinzipien zu entsprechen hat (vgl. Pernice, in: Dreier
<Hrsg.>, GG, Art. 23 Rn. 47).
Das politische Gestaltungsermessen der zuständigen Bundesorgane ist unter
einen Maßgabevorbehalt gestellt, der zugleich positiv-richtungsweisend und
negativ-grenzziehend wirkt (vgl. Rojahn, in: von Münch/Kunig <Hrsg.>, GG,
5. Aufl. 2001, Art. 23 Rn. 17). Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG ist
daher nicht nur Verhaltensnorm und Handlungsmaßstab für das Verhalten der deutschen
Regierungsvertreter im Europäischen Rat, sondern zugleich auch Beurteilungsnorm
und Urteilsmaßstab zur Kontrolle der Integrationsgewalt im Falle einer
verfassungsgerichtlichen Überprüfung (vgl. Rojahn, in: von Münch/Kunig
<Hrsg.>, a.a.O., Art. 23 Rn. 19). Das gilt vor allem hinsichtlich
seiner schrankensetzenden Funktion (vgl. Streinz, in: Sachs <Hrsg.>,
a.a.O., Art. 23 Rn. 38; Rojahn, in: von Münch/Kunig <Hrsg.>, a.a.O.,
Art. 23 Rn. 19). Als Verfassungsbindungsklausel entfaltet die Vorschrift
ihre Bedeutung zwar hauptsächlich bei der Übertragung von Hoheitsrechten; sie
gilt aber für alle Formen der Mitwirkung an der Europäischen Union, vor allem
auch im Rahmen der "dritten Säule" (vgl. Streinz, in: Sachs
<Hrsg.>, a.a.O., Art. 23 Rn. 15, 56, 73 und 82; Geiger, JZ
1996, S. 1093 <1095 f.>; Winkelmann, DVBl 1993, S. 1128 ff.;
Rojahn, in: von Münch/Kunig <Hrsg.>, a.a.O., Art. 23 Rn. 25a).
Für sämtliche deutsche Stellen, die zur Mitwirkung an der Entwicklung der
Europäischen Union berufen sind, begründet Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG
darüber hinaus eine Verfassungspflicht (vgl. BVerfGE
89, 155 <210 f.>), die ebenso wie das
Mitwirkungsgebot justiziabel ist (vgl. Pernice, in: Dreier, <Hrsg.>,
a.a.O., Art. 23 Rn. 49; Streinz, in: Sachs <Hrsg.>, a.a.O.,
Art. 23 Rn. 40). Gewahrt ist das Subsidiaritätsprinzip nur dann, wenn ihm
sowohl durch den Gesetzgeber als auch durch die vollziehende Gewalt bei der
konkreten Rechtsanwendung im Einzelfall Rechnung getragen wird.
2. Der in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG normierte Grundsatz der
Subsidiarität steuert die Kompetenz- und Aufgabenallokation zwischen der
Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten mit einer grundsätzlichen
Präferenz für die untere Ebene. Die kleinere und damit bürgernähere soziale
Einheit soll den Vorrang genießen (vgl. grundlegend Isensee,
Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2001, S. 223 ff.;
Rojahn, in: von Münch/Kunig <Hrsg.>, a.a.O., Art. 23 Rn. 30). Der
jeweils größere Verband tritt erst dann ein, wenn der kleinere, bürgernähere
nicht oder weniger wirksam zur Aufgabenbewältigung in der Lage ist (vgl.
Pernice, in: Dreier <Hrsg.>, a.a.O., Art. 23 Rn. 71; Rojahn,
in: von Münch/Kunig <Hrsg.>, a.a.O., Art. 23 Rn. 30).
Das Prinzip der Subsidiarität zielt damit zugleich auf den Schutz der
Autonomie des Individuums; es dient der organisatorischen Absicherung
größtmöglicher Freiheit und Selbstverantwortung und trägt darüber hinaus auch
dem Angewiesensein jedes Einzelnen auf die Gemeinschaft Rechnung. Es schützt
die Kompetenzen der Mitgliedstaaten und gewährleistet das
Selbstbestimmungsrecht und die individuelle Freiheit des Einzelnen.
3. Hiervon ausgehend kann eine Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an
Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Zwecke der Strafverfolgung überhaupt
nur dann in Betracht kommen, wenn eine Verwirklichung des staatlichen
Strafverfolgungsanspruchs durch die deutsche Justiz aus tatsächlichen, in der
Sache nachvollziehbaren und darüber hinaus auch im Einzelfall hinreichend
nachgewiesenen Gründen scheitert. Nur in diesem Umfang darf der Gesetzgeber den
Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl in innerstaatliches Recht
transformieren.
Das abweichend hiervon von der Senatsmehrheit offenbar stillschweigend
unterstellte Bedürfnis für eine Strafverfolgung deutscher Staatsangehöriger im
Ausland existiert infolge des aktiven Personalitätsprinzips (vgl. § 7 Abs.
2 Nr. 1 StGB) in Verbindung mit dem Grundsatz der stellvertretenden
Strafrechtspflege nicht. Vielmehr stellen diese Prinzipien und Grundsätze
sicher, dass Strafbarkeitslücken regelmäßig nicht entstehen und im Ausland
straffällig gewordene Deutsche auch im Inland verfolgt werden können. Zumindest
dies muss auch die Senatsmehrheit einräumen (vgl. B.I.1.a), Umdruck
S. 32).
Darüber hinaus ist auch in der mündlichen Verhandlung weder deutlich noch
sonst ersichtlich geworden, dass das rechtliche Instrumentarium der
Strafverfolgungsbehörden nicht ausreichend oder nicht hinreichend effektiv
wäre. Eine Auslieferung deutscher Staatsangehöriger an Mitgliedstaaten der
Europäischen Union kommt deshalb unter der Geltung des Grundgesetzes nur
insoweit in Betracht, als eine Verwirklichung des staatlichen
Strafverfolgungsanspruchs im Inland aus tatsächlichen Gründen, beispielsweise
infolge der Unerreichbarkeit von Zeugen oder auf Grund sonstiger besonderer
Erschwernisse bei der Beweisaufnahme, im konkreten Einzelfall zum Scheitern
verurteilt wäre. Nur dann ist die Leistungsfähigkeit der deutschen Justiz
erschöpft und der Weg für eine Aufgabenwahrnehmung durch die nächsthöhere Ebene
– die Mitgliedstaaten der Europäischen Union – frei.
4. Demgegenüber vermag die Auffassung der Senatsmehrheit, die mit Recht
eine aus der Staatsangehörigkeit abgeleitete Schutzpflicht postuliert, diese
jedoch sogleich für den Hauptanwendungsfall des Europäischen Haftbefehls – die
Straftaten mit maßgeblichem Auslandsbezug – ohne verfassungsrechtliche
Legitimation wieder zurücknimmt und dadurch eine Auslieferung deutscher
Staatsangehöriger in großem Umfang erst ermöglicht, nicht zu überzeugen. Auch
die Justiziabilität der Bewilligung allein bewirkt keinen ausreichenden Schutz.
Vielmehr ist das Vertrauen des Verfolgten in die eigene Rechtsordnung sowohl
von Art. 16 Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip als auch
durch das Subsidiaritätsprinzip (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) gerade auch
dann in besonderer Weise geschützt, wenn die dem Auslieferungsersuchen zu
Grunde liegende Handlung maßgeblichen Auslandsbezug aufweist. Vor allem hier
müssen sich die Schutzpflicht des Staates und der Grundsatz der Subsidiarität
beweisen - nicht erst bei Straftaten mit maßgeblichem Inlandsbezug, wie die
Senatsmehrheit meint.
Anstatt den Schutzauftrag der Verfassung mit Leben zu erfüllen, gibt der Senat
den Bürgerinnen und Bürgern Steine statt Brot. Zugleich verletzt er die im
Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Unschuldsvermutung, indem er apodiktisch
feststellt, wer sich in verbrecherische Strukturen einbinde, könne sich auf den
Schutz der Staatsangehörigkeit bei Auslieferung nicht in vollem Umfang berufen
(vgl. B.I.1.c)cc), Umdruck S. 43). Ob dies der Fall ist, steht jedoch im
Zeitpunkt der Auslieferung weder fest noch wird dies überhaupt geprüft.
Vielmehr haben die Betroffenen bis zum Beweis des Gegenteils für jede Form
staatlicher Gewalt als unschuldig zu gelten.
Die Unschuldsvermutung als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips
(Art. 20 Abs. 3 GG) schützt den Beschuldigten vor sämtlichen Nachteilen,
die einem Schuldspruch oder einer Strafe gleichkommen, denen aber kein
rechtsstaatliches prozessordnungsgemäßes Verfahren zur Schuldfeststellung
vorausgegangen ist (vgl. BVerfGE 74, 358 <371>;
82, 106 <115>). Vor
allem verbietet sie es, ohne gesetzlichen, prozessordnungsgemäßen
Schuldnachweis Maßnahmen gegen einen Beschuldigten zu treffen, die in ihrer
Wirkung einer Strafe gleichkommen, und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu
behandeln. Darüber hinaus verlangt die Unschuldsvermutung den rechtskräftigen
Nachweis der Schuld, bevor dem Verurteilten diese im Rechtsverkehr allgemein
entgegengehalten werden darf (vgl. BVerfGE 19, 342
<347>; 35, 311
<320>; 74, 358 <371>).
Denn erst eine durchgeführte Hauptverhandlung versetzt den Richter in den
Stand, sich eine Überzeugung zur Schuldfrage zu bilden. Nur diese schafft die
prozessualen Voraussetzungen dafür, überhaupt Feststellungen zur Schuld zu
treffen und die Unschuldsvermutung gegebenenfalls zu widerlegen (vgl. BVerfGE
74, 358 <373>).
Dieser Feststellung greift die Senatsmehrheit in rechtsstaatswidriger Weise
vor, indem sie die Verfolgten für das Ausliefungsverfahren wie Schuldige
behandelt und sich dadurch zugleich der verfassungsrechtlichen Verpflichtung
entzieht, die aus der Staatsangehörigkeit folgenden Schutzpflichten in gleicher
Weise auch auf die von ihr gebildete Fallgruppe der Straftaten mit maßgeblichem
Auslandsbezug zu erstrecken.
5. Infolge der Nichtigerklärung des Gesetzes über den Europäischen
Haftbefehl werden die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, an Aufträge und
Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen (vgl. Art. 38
Abs. 1 Satz 2 GG), nunmehr in völliger normativer Freiheit Gelegenheit haben,
ihrer Verfassungspflicht (vgl. BVerfGE 89, 155
<210 f.>) zu genügen und den Anforderungen
des Subsidiaritätsprinzips (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) Rechnung zu tragen.
Der Gesetzgeber hat den Rahmenbeschluss - sofern er sich hierzu überhaupt noch
entschließen sollte - nicht nur dergestalt umzusetzen, dass die Einschränkung
des Grundrechts auf Auslieferungsfreiheit verhältnismäßig ist - an sich eine
pure Selbstverständlichkeit, die einer Erwähnung nicht bedurft hätte -; er muss
vielmehr auch den Grundsatz der Subsidiarität (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG)
in der hier dargelegten Weise beachten.
6. Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips durch einfachgesetzliche Normen
hat das Bundesverfassungsgericht unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen
höherrangiges Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) bereits von Amts wegen zu prüfen.
Dessen ungeachtet hat das Subsidiaritätsprinzip aber nicht nur objektiv-rechtlichen,
sondern zugleich auch subjektiv-rechtlichen Gehalt. Insoweit ist der enge
sachliche Zusammenhang mit Art. 38 GG zu sehen. Diese Vorschrift schließt
es im Anwendungsbereich des Art. 23 GG aus, die durch Wahl bewirkte
Legitimation von Staatsgewalt und Einflussnahme auf deren Ausübung durch die
Verlagerung von Aufgaben und Befugnissen des Deutschen Bundestages so zu
entleeren oder faktisch zu binden und vorzuformen, dass das demokratische
Prinzip verletzt wird (vgl. BVerfGE 89, 155 <172>).
Das Recht eines jeden Deutschen aus Art. 38 GG auf effektive Teilhabe
an der Ausübung staatlicher Gewalt kann demnach verletzt sein, wenn die
Wahrnehmung der Kompetenzen des Deutschen Bundestages so weitgehend auf ein von
den Regierungen gebildetes Organ der Europäischen Union übergeht oder von ihm
faktisch vorgeprägt wird, dass die nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG in
Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG unverzichtbaren Mindestanforderungen
demokratischer Legitimation der dem Bürger gegenübertretenden Hoheitsgewalt
nicht mehr erfüllt werden (vgl. BVerfGE 89, 155 <172>).
Dem Deutschen Bundestag müssen deshalb Aufgaben und Befugnisse von
substanziellem Gewicht verbleiben (vgl. BVerfGE 89, 155
<186>). Dies sicherzustellen ist zugleich eine
der primären Aufgaben des Subsidiaritätsprinzips. Sein individualschützender
Charakter kann deshalb mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden
(vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG).
7. Aus dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG) erwächst
dem Gesetzgeber zugleich auch die – bislang allerdings kaum beachtete –
Verpflichtung, den "Integrationsmehrwert" eines
Gesetzgebungsvorhabens im Bereich der "dritten Säule" der
Europäischen Union nachvollziehbar zu begründen. Rechtfertigungsbedürftig ist
vor allem, dass und gegebenenfalls inwieweit eine zum Regelungsgegenstand
erhobene Aufgabe – hier die Auslieferung Deutscher zum Zwecke der
Strafverfolgung an Mitgliedstaaten der Europäischen Union – die
Leistungsfähigkeit der Justiz von Bund und Ländern übersteigt und nur auf
Unionsebene - durch Auslieferung - effektiv zu bewältigen ist (vgl. hierzu
Pernice, in: Dreier <Hrsg.>, a.a.O., Art. 23 Rn. 73; Rojahn, in: von
Münch/Kunig <Hrsg.>, a.a.O., Art. 23 Rn. 33).
Die Ausführungen des Gesetzgebers zu einem gegebenenfalls neu zu
erlassenden Europäischen Haftbefehlsgesetz werden insoweit der kritischen
Prüfung und Begleitung bedürfen. Nach der hier vertretenen Ansicht kann eine
rechtlich tragfähige Darlegung des "Integrationsmehrwerts" nur gelingen,
wenn der Gesetzgeber die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger zum Zwecke
der Strafverfolgung strikt auf jene Fallkonstellationen beschränkt, in denen
eine Strafverfolgung im Inland über die von der Senatsmehrheit mit Recht
vorgesehenen Einschränkungen hinaus aus im Einzelfall nachgewiesenen Gründen
tatsächlich scheitert.
8. Durch eine solche dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung tragende Umsetzung
des Rahmenbeschlusses setzt sich der Gesetzgeber auch nicht in Widerspruch zu
europarechtlichen Vorgaben. Art. 4 Nrn. 2 u. 3 des Rahmenbeschlusses
erlauben es ausdrücklich, die Auslieferung zu verweigern, wenn wegen derselben
Handlung, auf Grund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist,
eine strafrechtliche Verfolgung durch den "Vollstreckungsmitgliedstaat"
stattfindet (Art. 4 Nr. 2 RbEuHb) oder die Ermittlungsbehörden beschlossen
haben, wegen der Straftat, auf Grund deren der Europäische Haftbefehl
ausgestellt worden ist, kein Verfahren einzuleiten oder dieses einzustellen
(Art. 4 Nr. 3 RbEuHb). Dies hat auch die Senatsmehrheit festgestellt (vgl.
B.I.1.d)bb), Umdruck S. 47 f.). Zu Recht hat sie darüber hinaus die
Befugnis der Legislativorgane der Mitgliedstaaten betont, die Umsetzung des
Rahmenbeschlusses notfalls auch zu verweigern (vgl. B.I.1.c)bb), Umdruck S.
40).
9. Umso mehr überrascht es, dass die Senatsmehrheit es trotz der unter
Bezugnahme auf die Staatsangehörigkeit statuierten Schutzpflichten – in
Verkennung von Bedeutung und Tragweite nicht nur des Grundsatzes der
Subsidiarität (Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG), sondern auch des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit (Art. 20 Abs. 3 GG) - für statthaft erachtet, bei
Straftaten mit maßgeblichem Auslandsbezug eine Auslieferung deutscher
Staatsangehöriger ohne jede materielle Einschränkung vorzusehen. Ein solches,
die Unschuldsvermutung und damit eine tragende Säule des Rechtsstaatsprinzips
(Art. 20 Abs. 3 GG) konterkarierendes Vorgehen bleibt unverständlich.
Gleichwohl ist der Gesetzgeber nicht gehindert, von der hier kritisierten
Rechtsauffassung keinen Gebrauch zu machen und die ihm zu Gebote stehenden
Handlungsspielräume im Interesse der ihm anvertrauten Bürgerinnen und Bürger zu
nutzen, die für ihn bis zum Beweis des Gegenteils als unschuldig und damit als
uneingeschränkt schutzwürdig zu gelten haben.
Broß |
Abweichende Meinung
der Richterin Lübbe-Wolff
zum Urteil des Zweiten Senats vom 18. Juli 2005
- 2 BvR 2236/04 -
Ich teile die Auffassung der Senatsmehrheit, dass der deutsche Gesetzgeber
mit dem Erlass des Europäischen Haftbefehlsgesetzes den Grundrechten potentiell
Betroffener nicht hinreichend Rechnung getragen hat, kann aber weiten Teilen
der Begründung (1. - 5.) und dem Rechtsfolgenausspruch (6.) nicht folgen. Die
verfassungsrechtlichen Mängel des Europäischen Haftbefehlsgesetzes
rechtfertigen es nicht, das Gesetz für insgesamt nichtig zu erklären.
1. Grundlage des – eingeschränkten - Verbots der Auslieferung Deutscher ist
Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG. Der Versuch, es in höheren (quasi
naturrechtlichen), tieferen (historischen) und weiteren (völkerrechtlichen)
Sphären zu verankern, führt in die Irre.
a) Der Grundsatz, dass eigene Staatsangehörige nicht ausgeliefert werden,
lässt sich weder aus der Natur der "Beziehung des Bürgers zu einem
freiheitlichen demokratischen Gemeinwesen" ableiten noch gibt es eine
"seit der französischen Revolution gemeineuropäische Überzeugung",
die ihn stützte. Unter anderem in Staaten des angelsächsischen Rechtskreises,
denen wir Freiheit und Demokratie verdanken, gilt dieser Grundsatz nicht (s.
dazu bereits BVerfGE 4, 299 <303 f.>;
für weitere rechtsvergleichende Hinweise Masing, in: Dreier, GG, Bd. 1,
2. Aufl. 2004, Rn. 37 zu Art. 16 GG). Anders als das Verbot der
Entziehung der deutschen Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 Satz 1
GG) gründet der in Art. 16 Abs. 2 GG verankerte Grundsatz der
Nichtauslieferung Deutscher auch nicht in Erfahrungen nationalsozialistischen
Unrechts. Er findet sich schon in der Weimarer Reichsverfassung (Art. 112
Abs. 3 WRV) und geht auf eine wesentlich ältere Tradition zurück (vgl. Masing,
ebd. Rn. 8, m.w.N.). Schließlich kann auch davon, dass das Vertrauen der
Bürger in den gesicherten Aufenthalt auf dem Gebiet ihres Heimatstaates in der
hier interessierenden Hinsicht völkerrechtlich geschützt wäre, keine Rede sein.
Die völkerrechtliche Pflicht der Staaten, ihre eigenen Staatsangehörigen
aufzunehmen, auf die der Senat verweist, hat nicht den Hauch eines Gehalts, der
die Auslieferung eigener Staatsangehöriger an einen darum ersuchenden Staat
verböte oder beschränkte.
Einen hohen Rang hat der grundrechtliche Schutz Deutscher vor Auslieferung
demnach nicht deshalb, weil das Grundrecht seine Wurzeln in den angeführten
außer- oder vorverfassungsrechtlichen Sachgesetzlichkeiten, Verbindlichkeiten
oder historisch begründeten besonderen Verantwortlichkeiten hätte, sondern
aufgrund seiner besonderen Ausgestaltung in Art. 16 Abs. 2 GG und weil das
geschützte Interesse seiner lebensweltlichen Bedeutung nach schwer wiegt. Dass
der Senat demgegenüber das Gewicht des Auslieferungseingriffs allein an
Gesichtspunkten festmacht, die nur für das Grundrecht aus Art. 16 Abs. 2
GG gelten sollen, ist geeignet, Missverständnisse in Bezug auf die
grundrechtliche Rechtsstellung Nichtdeutscher zu erzeugen. Die Auslieferung und
die damit verbundene Inhaftierung greifen in Grundrechte nicht nur dann ein,
wenn Deutsche betroffen sind. Auch Ausländer können - in ihren Rechten aus
Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG - mit gleicher Härte betroffen
und nach Abwägung mit anderen Belangen schutzwürdig sein, wenn sie seit langem
in Deutschland leben oder sogar hier geboren und aufgewachsen sind (vgl. die
einfachgesetzliche Regelung in § 80 Abs. 3 IRG, die sich nicht in einem
grundrechtlich gleichgültigen Raum bewegt).
b) Dass mit der Aufnahme des Art. 16 Abs. 2 Satz 2 in das Grundgesetz
die in Art. 79 Abs. 3 GG statuierten Grenzen möglicher Verfassungsänderung
überschritten worden sein könnten, ist, wenn man auf in der Verfassung nicht
angelegte Überhöhungen des Verbots der Auslieferung eigener Staatsangehöriger
verzichtet, ein fernliegender Gedanke. Will man in diesem Zusammenhang
ernsthaft feststellen, ob der verfassungsändernde Gesetzgeber mit der Eröffnung
der Möglichkeit, unter bestimmten Voraussetzungen auch Deutsche auszuliefern,
eine "Entstaatlichung der vom Grundgesetz verfassten Rechtsordnung"
bewirkt oder dafür eine unzulässige Ursache gesetzt hat, dann lässt sich eine
solche Feststellung jedenfalls nicht mit Ausführungen zur Bedeutung der
Unionsbürgerschaft und zur Reichweite des gemeinschaftsrechtlichen Verbots der
Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (Art. 12 Abs. 1 EG)
begründen.
Es versteht sich, dass das Verbot der Diskriminierung nach
Staatsangehörigkeit in seinem Geltungsbereich begrenzt ist (vgl. Wortlaut des
Art. 12 Abs. 1 EG) und begrenzt bleiben muss, wenn es nicht auf die
Aufhebung der mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeiten und damit auf die
Auflösung der Mitgliedstaaten hinauslaufen soll. Mit der Frage, ob es wegen
unzulässiger Entstaatlichung gegen Art. 79 Abs. 3 GG verstößt, dass
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger
ermöglicht, hat dies aber nichts zu tun. Enthielte der EG-Vertrag ein
Diskriminierungsverbot, das die mitgliedstaatlichen Staatsangehörigkeiten ihrer
Substanz beraubt, dann läge darin das Entstaatlichungsproblem, nicht in
Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Auskunft, das Diskriminierungsverbot gelte,
dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung folgend, nur für bestimmte
vertraglich festgelegte Ziele, weicht zudem vom – auslegungsbedürftigen -
Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 EG in schwer verständlicher Weise ab. Für die
fallabgehobene Aussendung dunkler Signale an den Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften, der diese Bestimmung kürzlich eher extensiv angewandt hat (vgl.
EuGH, Urteil vom 15. März 2005 - C-209/03 -, EuZW 2005, S. 276 ff.),
sollten Urteile des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Verfügung stehen.
2. Um ein undeutliches Signal handelt es sich auch bei der Feststellung,
die in der "Dritten Säule" der Europäischen Union praktizierte
"Zusammenarbeit einer begrenzten gegenseitigen Anerkennung, die keine
allgemeine Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen
vorsieht", sei "gerade auch mit Blick auf den Grundsatz der
Subsidiarität (Art. 23 Abs. 1 GG) ein Weg, um die nationale Identität
und Staatlichkeit in einem einheitlichen europäischen Rechtsraum zu
wahren." Soweit dieses Signal sich gegen eine allgemeine Harmonisierung
der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen richtet, ist es schon deshalb
überflüssig, weil an eine allgemeine Harmonisierung der
mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen niemand denkt; nach geltendem Recht
verbietet sie sich nicht erst subsidiaritätshalber, sondern schon weil der
EU-Vertrag (Art. 29, 34 EU) dafür keine Kompetenzgrundlage bietet.
Zu widersprechen ist dagegen, soweit darüber hinaus angedeutet wird, dass
der Weg gegenseitiger Anerkennung von Haftbefehlen unter Verzicht auf das
Erfordernis gegenseitiger Strafbarkeit aus Subsidiaritätsgründen vorzugswürdig
und damit auch unionsrechtlich (Art. 2 Abs. 2 EU) verbindlich vorzuziehen
sei gegenüber Lösungen, die die gegenseitige Strafbarkeit durch materielle Harmonisierung
des Strafrechts sicherstellen. Abgesehen davon, dass keine dieser in der
mündlichen Verhandlung erörterten Alternativen das unionsrechtliche System des
Europäischen Haftbefehls trifft: Dem Subsidiaritätsprinzip als einer flexiblen Kompetenzzuordnungsregel
lassen sich nach meiner Auffassung derartige Maßgaben für die Auswahl zwischen
funktionsgleichen alternativen Regelungsinhalten nicht entnehmen.
Kompetenzielle und inhaltliche Vorgaben des Verfassungs- und des Unionsrechts –
Vorgaben bezüglich der Zuständigkeit für bestimmte Regelungsgegenstände und
Vorgaben bezüglich der Zulässigkeit bestimmter Regelungsinhalte – müssen, auch
wenn das in Grenzfällen Schwierigkeiten bereiten kann, möglichst klar
voneinander getrennt werden (vgl. bereits abweichende Meinung zu BVerfGE
111, 226, dort S. 278 f.). Wird dem
Subsidiaritätsprinzip Herrschaft auch über die Auswahl zwischen inhaltlichen
Regelungsalternativen zugeschrieben, die die Grundrechte Betroffener in
unterschiedlicher Intensität berühren können, kann das unter anderem dazu
führen, dass der Gesichtspunkt der Kompetenzschonung den Gesichtspunkt der
Grundrechtsschonung verdrängt.
3. Gang und Ergebnisse der Verhältnismäßigkeitsprüfung, die der Senat
vornimmt, kann ich in Teilen nicht mitvollziehen.
a) Ob die Regelungen des Europäischen Haftbefehlsgesetzes im Hinblick auf
Art. 16 Abs. 2 GG und andere bei Auslieferungen potentiell betroffene
Grundrechte dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinreichend Rechnung tragen,
ist eine verfassungsrechtliche Frage, für deren Beantwortung nicht der
Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl, sondern das Grundgesetz den
Maßstab abgibt. Die Antwort bemisst sich also nicht nach den Spielräumen, die
der Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl dem deutschen Gesetzgeber
für die Ablehnung von Auslieferungen belässt. Demgemäß ist der deutsche
Gesetzgeber auch nicht verpflichtet, die im Rahmenbeschluss vorgesehenen
fakultativen Ablehnungsgründe allein deshalb zu nutzen, weil auf diese Weise
auslieferungsbedingte Grundrechtseingriffe vermieden werden können. Vielmehr
kommt es auf eine Abwägung zwischen den mit dem Rahmenbeschluss und seiner
Umsetzung verfolgten Belangen effektiver Strafverfolgung und den Belangen
etwaiger Zeugen und Opfer auf der einen und den grundrechtlichen Belangen der
unmittelbar Auslieferungsbetroffenen auf der anderen Seite an.
Zu der Abwägung zwischen diesen Belangen haben die Ablehnungsgründe des
Art. 4 Nrn. 7a und 7b RbEuHb einen spezifischen Bezug. Sie stellen sicher,
dass der Verfolgte wegen einer vorgeworfenen Tat, die nach dem Recht des
ersuchten Staates nicht strafbar ist, nur ausgeliefert werden muss, wenn diese
Tat im ersuchenden Staat, also dort wo sie strafbar ist, begangen sein soll
(andernfalls ist entweder Nr. 7a oder Nr. 7b anwendbar), und dass der
Verfolgte nicht ausgeliefert werden muss, wenn die Tat einen Inlandsbezug der
Art hat, dass Gründe effektiver Strafverfolgung die Auslieferung möglicherweise
gar nicht gebieten (Nr. 7a). Wegen dieses spezifischen Bezugs zu den zentralen
Abwägungs- und Vertrauensschutzfragen, die sich im Zusammenhang mit
Auslieferungen auf der Grundlage Europäischer Haftbefehle stellen, musste der
Gesetzgeber die durch Art. 4 Nrn. 7a und 7b RbEuHb eröffneten
Möglichkeiten nutzen.
b) Für unrichtig halte ich die Auffassung, das Europäische
Haftbefehlsgesetz weise eine verfassungsrechtlich problematische Schutzlücke
darüber hinaus auch hinsichtlich der Möglichkeit auf, die Auslieferung wegen
eines in gleicher Sache im Inland laufenden strafrechtlichen Verfahrens
(Art. 4 Nr. 2 RbEuHb) oder deshalb abzulehnen, weil ein inländisches
Verfahren eingestellt oder schon die Einleitung abgelehnt worden ist
(Art. 4 Nr. 3 RbEuHb). Tatsächlich hat der deutsche Gesetzgeber von diesen
im Rahmenbeschluss eröffneten Möglichkeiten zwar objektivrechtlich Gebrauch
gemacht (§ 83 b Nrn. 1 und 2 IRG), insoweit aber ebensowenig wie in Bezug
auf die übrigen Ablehnungsgründe des § 83 b IRG einen einklagbaren
Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung eingeräumt. Dazu wird dem
Gesetzgeber vorgeworfen, er habe die individualrechtsschützende Funktion nicht
beachtet, die in diesem Zusammenhang dem staatsanwaltlichen
Ermittlungsverfahren zukomme. Der Senat vermisst hier also offenbar einen
rechtlich gesicherten Einfluss des Betroffenen auf die Einleitung eines
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens, weil ein einklagbarer Anspruch
auf grundrechtskonforme Ermessensausübung hinsichtlich der
Auslieferungsverweigerung ins Leere läuft, soweit nicht zugleich ein rechtlicher
Einfluss auch auf die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verweigerungsgrundes
eingeräumt wird. Der Gesetzgeber hat daher nach Auffassung des Senats unter
anderem auch die Regelungen der Strafprozessordnung daraufhin zu überprüfen, ob
Entscheidungen der Staatsanwaltschaft, von einer Strafverfolgung abzusehen, im
Hinblick auf eine mögliche Auslieferung gerichtlich überprüfbar sein müssen.
Diese Vision eines verfassungsrechtlich gebotenen Verfahrens zur Erzwingung
strafrechtlicher Verfolgung der eigenen Person habe ich nicht. Zu den
"strafrechtlichen Verfahren", deren Lauf bzw. schon erfolgte
Ablehnung oder Einstellung einen Ablehnungsgrund nach § 83 b Nrn. 1 bzw. 2
IRG bildet, gehört auch das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren. Wer
insoweit Einwirkungsmöglichkeiten des potentiell Auslieferungsbetroffenen für
verfassungsrechtlich geboten hält, kann - und muss konsequenterweise - diesen
Begriff jedenfalls für die Zwecke des Auslieferungsrechts verfassungskonform in
einem entsprechend weiten, auch die Prüfung des Anfangsverdachts und etwaige
(vgl. Beulke, Strafprozessrecht, 8. Aufl. 2005, S. 179, m.w.N.) sogenannte
Vorermittlungen einschließenden Sinn interpretieren. Ein solches Verfahren wird
nach § 160 Abs. 1 StPO durch eine Strafanzeige ausgelöst, kann also auch
durch Selbstanzeige eingeleitet werden. Gleich wie dieses Verfahren sich
entwickelt - ob die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens im engeren Sinne
abgelehnt, ob das Verfahren weitergeführt oder eingestellt, ob Anklage erhoben
oder beispielsweise nach § 154 b StPO von einer Anklage abgesehen wird -
in jedem Fall liegt entweder der Ablehnungsgrund nach § 83 b Nr. 1 IRG
(laufendes Verfahren) oder der nach § 83 b Nr. 2 IRG (abgelehntes oder
eingestelltes Verfahren) vor. Das Problem unzureichender Einwirkungsmöglichkeit
des Betroffenen auf die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ablehnungsgründe
nach § 83 b Nrn. 1 und 2 IRG (Art. 4 Nrn. 2 und 3 RbEuHb) ließe sich
also, wenn es sich tatsächlich um ein verfassungsrechtliches Problem handelte, durch
verfassungskonforme Interpretation auflösen.
Der Senat begründet allerdings nicht, weshalb neben der übereinstimmend für
erforderlich gehaltenen gesetzgeberischen Umsetzung der Ablehnungsgründe nach
Art. 4 Nr. 7 RbEuHb, einschließlich diesbezüglichen Rechtsschutzes,
gesonderte rechtsschutzbewehrte Ansprüche in Bezug auf die Nutzung der
Ablehnungsgründe nach § 83 b Nrn. 1 und 2 IRG zur Sicherung der
Verhältnismäßigkeit der Auslieferung überhaupt noch erforderlich sein sollen.
Dazu hätte geklärt werden müssen, inwiefern Auslieferungen auch in Fällen
unverhältnismäßig sein könnten, in denen die Gründe des Art. 4 Nr. 7
RbEuHb nicht greifen. Denn eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Nutzung von
Spielräumen, die der Rahmenbeschluss belässt, kann nicht aus der bloßen
Existenz dieser Spielräume folgen (vgl. a).
Eine Austauschbarkeit der Ablehnungsgründe in umgekehrter Richtung (vgl.
Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 15/2677, S. 5)
scheitert daran, dass die Ablehnungsgründe des § 83 b Nrn. 1 und 2 IRG
nicht beliebig extensiv ausgelegt und angewandt werden können, ohne mit den
Vorgaben des Rahmenbeschlusses in Konflikt zu geraten; das soll hier aus
Raumgründen nicht im Einzelnen ausgeführt werden.
c) Mit der Feststellung, die Frage der Rücküberstellung zur Vollstreckung
einer etwaigen Freiheitsstrafe müsse in den gebotenen "Abwägungsprozess
einbezogen" werden und der Gesetzgeber müsse prüfen, "ob das
Zulässigkeitshindernis der fehlenden Zusicherung des ersuchenden Staates, die
Rücküberstellung des Verfolgten zur Strafvollstreckung dem ersuchten Staat
anzubieten, eine zureichende Maßnahme ist", drückt der Senat sich um die
Beantwortung der entscheidenden verfassungsrechtlichen Frage.
Es geht hier um die Verhältnismäßigkeit des in der Auslieferung liegenden
Grundrechtseingriffs. Dieser Eingriff wird wesentlich gemildert, wenn der
Betroffene nur das Strafverfahren im Ausland hinter sich bringen und dort nicht
auch noch die womöglich langjährige Strafe verbüßen muss. Auf der anderen Seite
ist bis auf weiteres kein einziger Gesichtspunkt wirksamer Strafverfolgung im
europäischen Rechtsraum ersichtlich, der einer Rücküberstellung nach
Verurteilung entgegenstehen könnte. Für die Erreichung der berechtigten, auch
aus verfassungsrechtlicher Sicht gewichtigen Ziele des Rahmenbeschlusses ist es
gleichgültig, in welchem Land ein Verurteilter seine Strafe verbüßt. Danach
muss es in Bezug auf die besonders zu schützenden Personengruppen (vgl. 1.) als
eine zwingende Voraussetzung der Auslieferung gelten, dass die Möglichkeit der
Rücküberstellung zur Vollstreckung besteht und später auch genutzt wird.
Für den Fall fehlender gegenseitiger Strafbarkeit eröffnet aber das Gesetz
über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen die Möglichkeit der
inländischen Vollstreckung eines ausländischen Strafurteils nicht (§ 49
Abs. 1 Nr. 3 IRG).
Wenn problematisiert wird, ob Rücküberstellungszusicherungen, von denen aus
diesem Grund kein Gebrauch gemacht werden kann, den grundrechtlichen Anforderungen
genügen, muss geklärt werden, ob eine andere einfachgesetzliche Regelung als
die in § 49 Abs. 1 Nr. 3 IRG getroffene verfassungsrechtlich überhaupt
zulässig wäre. Es ist also die Frage zu beantworten, ob das Grundgesetz es
zulässt, eine Strafe, die über einen Ausgelieferten im Ausland verhängt wurde,
nach Rücküberstellung im Inland zu vollstrecken, wenn die zugrundeliegende Tat
nach deutschem Recht nicht strafbar ist.
Die Antwort muss positiv ausfallen. Soweit das Grundgesetz, insbesondere
Art. 103 Abs. 2 GG, einer Auslieferung trotz fehlender gegenseitiger
Strafbarkeit nicht entgegensteht, kann es folgerichtig auch der Abmilderung
dieses Grundrechtseingriffs dadurch, dass die Vollstreckung des ausländischen
Strafurteils in Deutschland ermöglicht wird, nicht entgegenstehen.
4. Der Senat begreift den Vorbehalt der Wahrung rechtsstaatlicher
Grundsätze (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG) als Aufgabenzuweisung an den
Gesetzgeber in dem Sinne, dass es unmittelbar diesem selbst obliege, festzustellen,
"dass die Beachtung rechtsstaatlicher Grundsätze durch die die Strafgewalt
über einen Deutschen beanspruchende Stelle gewährleistet ist".
Sofern damit dem Gesetzgeber die Befugnis eingeräumt werden soll,
hinsichtlich der Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze in den Mitgliedstaaten
der EG allgemeine, Behörden und Fachgerichte für die Beurteilung des
Einzelfalles bindende Feststellungen zu treffen, ist dem zu widersprechen. Die
verbindliche Subsumtion von Sachverhalten unter Rechtsbegriffe ist nach dem
Gewaltenteilungsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) grundsätzlich nicht Sache des
Gesetzgebers, sondern Sache der ausführenden und der rechtsprechenden Gewalt.
An dieser Aufgabenverteilung, die im Hinblick auf Art. 79 Abs. 3 GG auch
der verfassungsändernde Gesetzgeber (vgl. Art. 16a Abs. 2 Satz 2 und Abs.
3 Satz 1 GG) allenfalls punktuell verschieben darf, hängt die
gleichheitssichernde Kraft des Gesetzes, der Schutz vor symbolpolitischer
Degeneration der Gesetzessprache und damit auch die Funktionsfähigkeit der
Demokratie.
5. Der Beschwerdeführer hat geltend gemacht, die Rechtsgrundlagen seiner
Auslieferung litten an einem verfassungswidrigen Demokratiedefizit. In seine
Grundrechte dürfe nur aufgrund parlamentsbeschlossenen Gesetzes eingegriffen
werden. Das deutsche Parlament habe über die Regelungen des Europäischen
Haftbefehlsgesetzes, die eine von gegenseitiger Strafbarkeit der vorgeworfenen
Tat unabhängige Auslieferung vorsähen, nicht frei entscheiden können, weil es
durch den allein von Regierungsvertretern erlassenen Rahmenbeschluss über den
Europäischen Haftbefehl gebunden gewesen sei.
Der Senat stellt dazu fest, es entspreche den Anforderungen des
Demokratieprinzips, dass das Europäische Parlament beim Erlass europäischer
Rahmenbeschlüsse lediglich angehört wird, denn die mitgliedstaatlichen
Legislativorgane behielten die politische Gestaltungsmacht im Rahmen der
Umsetzung, die sie notfalls auch verweigern könnten. Dies ist keine Antwort auf
den Einwand des Beschwerdeführers, sondern eine Beschreibung des Problems, die
nur die Besonderheit aufweist, dass das Problem nicht als solches betrachtet
wird. Wo man demokratische Legitimation in der Freiheit des Parlaments zum
Verstoß gegen Unionsrecht aufsuchen zu müssen glaubt, liegt etwas im Argen.
Nicht wegen des Befundes, den der Senat feststellt, sondern trotzdem
gibt es gute Gründe, aus der schwachen Rolle der Parlamente in dem gestuften
Rechtsetzungsprozess, um den es hier geht, nicht den Schluss zu ziehen, dass
das Europäische Haftbefehlsgesetz oder gar auch schon das Zustimmungsgesetz zum
Amsterdamer Vertrag, mit dem das Institut des Rahmenbeschlusses an die Stelle
der früheren "gemeinsamen Maßnahme" (Art. K.3 Abs. 2 b EU a.F.)
getreten ist, wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip verfassungswidrig
seien. Nach den im Maastricht-Urteil entwickelten Maßstäben (BVerfGE
89, 155 <181 ff.>) liegt ein
verfassungswidriges Demokratiedefizit nicht vor. Art. 79 Abs. 3 GG als
verfassungsrechtliche Grenze der europäischen Integration ist in diesem Urteil
zu Recht mit Vorsicht gehandhabt worden, denn Sinn dieser Bestimmung ist es,
einen Rückfall unseres Landes in Diktatur und Barbarei auszuschließen, und
nichts dient diesem Ziel mit höherer Wahrscheinlichkeit als Deutschlands
Integration in die Europäische Union.
Nicht zuletzt deshalb ist auf diesem Gebiet auch die Verlässlichkeit der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts von besonderer Bedeutung.
Unvorhersehbare Kehrtwenden verbieten sich, auch wenn am Beispiel des
Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl Demokratiedefizite, die die
Rechtsetzung im europäischen Mehrebenensystem nicht nur bei den
Rahmenbeschlüssen, sondern auch in etlichen anderen Bereichen aufweist,
schärfer ins Auge treten als bisher. Darum wäre es notwendig gewesen, in
Auseinandersetzung mit den Einwänden des Beschwerdeführers die
zukunftsgerichteten Maßstäbe der Maastricht-Entscheidung zu präzisieren, statt
zu einer Rechtfertigung zu greifen, die das Problem verdeutlicht, indem sie es
verneint.
Schon das Maastricht-Urteil hat dem experimentellen und prozesshaften
Charakter der Europäischen Integration und dem in der Zielrichtung des
Art. 79 Abs. 3 GG angelegten Spannungsverhältnis zwischen
Integrationsoffenheit und deren Grenzen Rechnung getragen, indem es nicht nur
das damals zu beurteilende Vertragsgesetz auf seine Vereinbarkeit mit
Art. 79 Abs. 3 GG hin geprüft, sondern für die Zukunft einen Ausbau der
demokratischen Grundlagen der Union, schritthaltend mit der Integration,
gefordert hat (BVerfGE 89, 155 <186>).
Tatsächlich hat die weitere Entwicklung in vielen Bereichen
Demokratisierungsfortschritte gebracht. Weiterhin hinkt aber der Unionisierung
von Entscheidungskompetenzen die Demokratisierung der Entscheidungsprozesse mit
beträchtlichem Abstand nach (näher dazu Maurer, Parlamentarische Demokratie in
der Europäischen Union, 2002, S. 120 ff. <134>, m.w.N.). Es musste
deshalb die Frage beantwortet werden, ob von einem ausreichenden
"Schritthalten" die Rede sein kann, wenn neben der Unionisierung von
Entscheidungskompetenzen auch die Demokratisierung bereichsweise
voranschreitet, zugleich aber immer neue Nachholbedarfe geschaffen werden.
Defizite, aus denen sich die Notwendigkeit beschleunigten Aufholens ergibt,
sind dabei nicht notwendigerweise der Unionsebene zuzurechnen und auf dieser
Ebene auszugleichen. Vor allem dort, wo Rechtsetzung auf der europäischen
Ebene, wie im Fall der Rahmenbeschlüsse, Einstimmigkeit im Rat voraussetzt (s.
Art. 34 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe b i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EU),
kann und muss die noch ausstehende Entwicklung hin zu einer besseren
demokratischen Fundierung auch dadurch erfolgen, dass auf nationaler Ebene in
Recht und Praxis der parlamentarische Einfluss auf das Stimmverhalten der
Regierungsvertreter im Rat verstärkt wird.
6. Eine Rechtfertigung für die Nichtigerklärung des Europäischen
Haftbefehlsgesetzes kann ich nicht erkennen. Das Gesetz ist verfassungswidrig
insofern, als es Regelungen nicht enthält, die in Bezug auf bestimmte Personen-
und sie betreffende Fallgruppen die Wahrung der Verhältnismäßigkeit der
Auslieferung ermöglichen und durch ausreichenden Rechtsschutz sicherstellen. Um
darauf beruhende Verfassungsverstöße auszuschließen, genügt die Feststellung,
dass bis zum Inkrafttreten einer verfassungskonformen Regelung Deutsche und
schutzwürdige Nichtdeutsche (vgl. 1.) nicht ausgeliefert werden dürfen, soweit
es sich um Taten handelt, bei denen die Auslieferung nach Art. 4 Nr. 7a
oder Nr. 7b RbEuHb abgelehnt werden könnte (vgl. 3. a), und soweit eine Rücküberstellung
zur eventuellen Strafvollstreckung nach geltendem Recht an fehlender
gegenseitiger Strafbarkeit scheitert (vgl. 3. c). Zur näheren Bestimmung der
Gruppe der im Hinblick auf die Auslieferung schutzwürdigen Nichtdeutschen
könnte dabei die in § 80 Abs. 3 IRG durch den Gesetzgeber selbst in
verfassungskonformer Weise vorgenommene Abgrenzung herangezogen werden. Bei
einem Rechtsfolgenausspruch dieses Inhalts würde sich auch das Problem
unzureichenden Rechtsschutzes, das auch nach Auffassung des Senats jedenfalls
nicht über diese Personen- und Fallgruppen hinaus besteht, nicht stellen, so
dass sich selbst eine Nichtigerklärung des § 74 b IRG (Unanfechtbarkeit
der Bewilligungsentscheidung) erübrigt.
Die im Urteil ausgesprochene Nichtigerklärung des Europäischen
Haftbefehlsgesetzes vernichtet demgegenüber die einfachgesetzlichen Grundlagen
der Auslieferung aufgrund Europäischer Haftbefehle auch insoweit, als sie Fälle
betreffen, in Bezug auf die der Senat selbst das Gesetz in keiner Weise als
verfassungsrechtlich problematisch beanstandet hat. Aufgrund der
Nichtigerklärung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes ist beispielsweise auch
die Auslieferung von nur kurzfristig sich in Deutschland aufhaltenden
Ausländern, ja selbst die Auslieferung von Staatsangehörigen des ersuchenden
Staates wegen vorgeworfener Taten, die sie ausschließlich im ersuchenden Staat
begangen haben, aufgrund eines Europäischen Haftbefehls bis auf weiteres nicht
mehr möglich, obwohl nach den vom Senat aufgestellten Grundsätzen gegen das Europäische
Haftbefehlsgesetz, soweit es derartige Fälle betrifft, gar nichts einzuwenden
ist. Mit der Nichtigerklärung eines Gesetzes, das in einem großen Teil seiner
Anwendungsfälle verfassungsrechtlich unbedenklich angewendet werden könnte,
zwingt der Senat die Bundesrepublik Deutschland zu Verstößen gegen das
Unionsrecht, die ohne Verfassungsverstoß vermieden werden könnten.
Auf der Grundlage des aus meiner Sicht gebotenen engeren
Rechtsfolgenausspruchs müsste die fällige erneute Entscheidung des Oberlandesgerichts
nicht notwendigerweise zugunsten des Beschwerdeführers ausfallen. In der
angegriffenen Entscheidung hat das Gericht nicht festgestellt, ob die Straftat,
die dem Beschwerdeführer im Haftbefehl vom 19. September 2003 vorgeworfen wird,
eine in Spanien begangene ist und ob insoweit gegenseitige Strafbarkeit
vorliegt. Ob der Fall des Beschwerdeführers überhaupt zu einer der Fallgruppen
gehört, in Bezug auf die nach dem oben Ausgeführten die Regelungen des
Europäischen Haftbefehlsgesetzes unzureichend sind, ist daher bislang nicht
geklärt.
Lübbe-Wolff |
Abweichende Meinung
des Richters Gerhardt
zum Urteil des Zweiten Senats vom 18. Juli 2005
- 2 BvR 2236/04 -
Das Urteil kann ich nicht mittragen. Die Verfassungsbeschwerde wäre zurückzuweisen
gewesen. Die Nichtigerklärung des Europäischen Haftbefehlsgesetzes steht mit
dem verfassungs- und unionsrechtlichen Gebot, Verletzungen des Vertrags über
die Europäische Union möglichst zu vermeiden, nicht im Einklang. Der Senat
setzt sich in Widerspruch zur Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften.
I.
Das in Art. 16 Abs. 2 GG normierte Auslieferungsverbot soll zum
einen verhindern, dass die deutsche Staatsgewalt dazu beiträgt, Strafansprüche
anderer Staaten durchzusetzen, die in den Wertungen der deutschen Rechtsordnung
keine Entsprechung finden (1.). Zum andern soll der Verfolgte vor den unter
Umständen massiven Erschwernissen bewahrt werden, die mit einem Strafverfahren
im Ausland verbunden sind (2.). Beide Schutzziele werden bei
verfassungskonformer Auslegung und Anwendung des Europäischen
Haftbefehlsgesetzes unter Berücksichtigung des Unionsrechts erreicht.
Entsprechendes gilt für die Wahrung der Rechtsschutzgarantie (3.).
1. Schon die Besorgnis, als Deutscher mit Unterstützung durch inländische
Behörden Opfer ausgreifender, von den Wertungen der nationalen Rechtsordnung
abweichender Strafgesetzgebung eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen
Union zu werden, ist nicht gerechtfertigt.
Die Auslieferung zur Verfolgung nach dem Europäischen Haftbefehlsgesetz
setzt in Übereinstimmung mit dem Rahmenbeschluss über den Europäischen
Haftbefehl eine Strafdrohung im Ausstellungsstaat von im Höchstmaß mindestens
zwölf Monaten Freiheitsstrafe und die beiderseitige Strafbarkeit voraus.
Anderes gilt nur, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden Staats mit einer
Strafe von im Höchstmaß mindestens drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist und
eine Strafbestimmung verletzt, die einer der in Art. 2 Abs. 2 des
Rahmenbeschlusses genannten Deliktsgruppen zugehört (§ 81 Nr. 4
i.V.m. § 3 Abs. 1 IRG, Art. 2 Abs. 4, Art. 4
Nr. 1 RbEuHb). Bei diesen Deliktsgruppen kann, soweit sie nicht ohnehin
harmonisiert sind oder werden (vgl. z.B. zur Cyberkriminalität
Art. 5 ff. des Rahmenbeschlusses über Angriffe auf
Informationssysteme vom 24. Februar 2005, ABl Nr. L 69 vom
16. März 2005, S. 67), davon ausgegangen werden, dass sie nach
gemeineuropäischer Überzeugung strafwürdiges Unrecht darstellen. Sollte ein
Mitgliedstaat sein Strafrecht so gestalten, dass Zweifel über die Zugehörigkeit
zu den Deliktsgruppen des Art. 2 Abs. 2 RbEuHb angebracht sind, indem
er eine Deliktsgruppe ausdehnend auslegt oder etwa Deliktsgruppen zugehörige,
aber untergeordnete Handlungen mit unangemessenen, die Anwendung des
Art. 2 Abs. 2 RbEuHb eröffnenden Freiheitsstrafen bedroht, hat der
Gerichtshof auf Vorlage des zuständigen Gerichts gemäß Art. 35 Abs. 1
EU in Verbindung mit § 1 EuGHG zu entscheiden. Entsprechendes gilt für den
umgekehrten Fall, dass die Bundesrepublik Deutschland bestimmte Handlungen
einer Deliktsgruppe nicht zurechnen will - ein eher theoretischer Fall.
Das Unionsrecht ist auch für eine Rechtsentwicklung offen, die es erlaubt,
Auslieferungen zu verhindern, wenn ein Mitgliedstaat grundsätzlich
auslieferungsfähige Delikte mit unverhältnismäßigen Strafen belegt. Gemäß
Art. 1 Abs. 3 RbEuHb berührt der Rahmenbeschluss nicht die Pflicht,
die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Art. 6 EU zu
achten; dem entsprechend ist nach § 73 Satz 2 IRG die Leistung von
Rechtshilfe unzulässig, wenn die Erledigung zu den in Art. 6 EU
enthaltenen Grundsätzen in Widerspruch stünde. Zu diesen Grundsätzen gehört
derjenige der Rechtsstaatlichkeit, der den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz umfasst
(Art. 6 Abs. 1 EU). Dieser findet ferner in der für die Union und
ihre Mitgliedstaaten verbindlichen Menschenrechtskonvention seine Grundlage.
Gemäß Art. 6 Abs. 3 EU achtet die Union außerdem die nationale
Identität ihrer Mitgliedstaaten. Bereits dies impliziert die Pflicht zu
gegenseitiger Rücksichtnahme der Mitgliedstaaten. Der Gerichtshof der
Europäischen Gemeinschaften hat in seinem Urteil vom 16. Juni 2005 (Rs.
C-105/03 - Pupino) den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit der
Mitgliedstaaten bei der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen auch und
gerade für die Umsetzung von Rahmenbeschlüssen hervorgehoben (Rn. 42).
Führt man diese Aspekte vor dem Hintergrund einer immer engeren Union der
Völker (Art. 1 Abs. 2 EU) zusammen, ergibt sich hinreichend sicher,
dass der Gerichtshof - ungeachtet der prinzipiellen Strafgewalt der
Mitgliedstaaten, des Fehlens einer allgemeinen Harmonisierung des Strafrechts
und der Fortentwicklung der justiziellen Zusammenarbeit im Einzelnen - der
europaweiten Durchsetzung der exzessiven Strafgesetzgebung eines Mitgliedstaats
mit Hilfe des Europäischen Haftbefehls entgegentreten kann und muss. Gerade um
der Effektivität dieses Instruments willen kann die Europäische
Rechtsgemeinschaft eine ungleichgewichtige, einseitige Inanspruchnahme strafrechtlicher
Sanktionen durch einzelne Mitgliedstaaten nicht durch Auslieferungen an diese
unterstützen.
Ich bedauere sehr, dass der Senat sich insoweit einer konstruktiven Mitarbeit
an europäischen Lösungen verweigert. Namentlich mit der Behauptung eines
inneren Zusammenhangs von Auslieferungsverbot und Staatsangehörigkeit als
Status sowie mit dem undefiniert gebliebenen Topos des Vertrauens in die
Verlässlichkeit der eigenen Rechtsordnung betont er einseitig die nationale
Perspektive, statt einen Ausgleich zwischen den Bindungen des nationalen und
des europäischen Rechts herzustellen. Dass er weder begrifflich noch in einer
Diskussion möglicher Konsequenzen auf das Urteil des Gerichtshofs in der Sache
Pupino eingeht, dient dem Recht nicht.
2. Das Europäische Haftbefehlsgesetz bietet ausreichende Möglichkeiten, die
Übergabe an den ersuchenden Staat in den Fällen abzulehnen, in denen die mit
einem Strafverfahren im Ausland für den Verfolgten verbundenen Belastungen
außer Verhältnis zu den Vorteilen stehen, die für eine Strafverfolgung im
ersuchenden Staat geltend gemacht werden können.
Aufgrund des weit reichenden Geltungsanspruchs des deutschen Strafrechts
(§§ 3 bis 7 StGB) und seiner hohen Pönalisierungsdichte sind praktisch
kaum Fälle vorstellbar, in denen die Staatsanwaltschaft gegen einen Deutschen
wegen einer Tat, derentwegen seine Auslieferung erstrebt wird, nicht
einzuschreiten hätte (§ 152 Abs. 2 StPO). Wegen der Aufnahme von
Ermittlungen kann die Bewilligung der Auslieferung gemäß § 83b Nr. 1
und 2 IRG abgelehnt werden, und zwar unabhängig vom Ausgang des
Ermittlungsverfahrens (vgl. ferner § 9 IRG). Einer ausdrücklichen
Übernahme des Art. 4 Nr. 7 RbEuHb bedurfte es deshalb nicht (so
ausdrücklich für Art. 4 Nr. 7 lit. a RbEuHb Bericht des
Rechtsausschusses BtDrucks 15/2677 S. 5; für lit. b ergibt sich dies
aus § 7 Abs. 2 Nr. 1 StGB). Von diesen Regelungen nicht erfasst
werden zwar Fälle, in denen trotz grundsätzlicher Auslieferungsfähigkeit ein
Ermittlungsverfahren nicht eingeleitet werden darf (vgl. § 344 StGB), doch
besteht insoweit kein Regelungsbedarf. Soweit die Tat - wie im hier zu
entscheidenden Fall - in der Bundesrepublik nicht verfolgt werden kann,
weil es an der inländischen Strafbarkeit zum Zeitpunkt der Tat fehlt, ergibt
sich dies daraus, dass dieser Umstand dem Verfolgten weder nach den Grundsätzen
des allgemeinen Auslieferungsrechts noch nach den verfassungsrechtlichen
Grenzen rückwirkender Gesetzgebung zugute kommt. Welche sonstigen
Konstellationen in Betracht zu ziehen sein könnten, ist nicht ersichtlich, und
wenn es sie geben sollte, sind sie auf die im Folgenden dargestellte Weise zu
lösen.
Das Problem besteht mithin nicht, wie der Senat meint, im Fehlen einer
ausreichenden gesetzlichen Grundlage für die Verweigerung von Auslieferungen
insbesondere für Fälle mit ausschließlichem oder überwiegendem Inlandsbezug,
sondern darin, dass die verfassungsrechtlich gebotene
Verhältnismäßigkeitsprüfung im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt ist (vgl. zur
ansatzweisen Erörterung im Gesetzgebungsverfahren BTDrucks 15/1718 S. 28
und 30). Eine derartige Erwähnung ist indes von Verfassungs wegen nicht geboten.
Jedenfalls nach der Klarstellung des Schutzgehalts und der Normstruktur des
Art. 16 Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht dahin, dass die
Auslieferung Deutscher nur nach Maßgabe einer Abwägung nach dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zulässig ist, soweit der Rahmenbeschluss die
Verweigerung der Auslieferung erlaubt, versteht es sich von selbst, dass
Behörden und Gerichte dieses Verfassungsgebot beachten. Es besteht nicht der
geringste Anlass zu besorgen, dass die für die Erhebung der öffentlichen Klage
zuständigen Staatsanwaltschaften und die für die Bewilligung der Auslieferung
zuständigen Generalstaatsanwaltschaften ihre Entscheidungsspielräume nach
§ 154b StPO bzw. § 83b IRG nicht in der verfassungsunmittelbar
gebotenen Weise wahrnehmen. Der Senat selbst hat in seinem Beschluss vom
12. April 2005 – 2 BvR 1027/02 - zur Beschlagnahme von
Datenträgern besondere gesetzliche Vorkehrungen zur Durchsetzung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht für geboten gehalten.
Desgleichen ist davon auszugehen, dass die Oberlandesgerichte bei ihrer
Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung die von Art. 16
Abs. 2 GG gebotenen Prüfungen vornehmen. Die Oberlandesgerichte sind
hieran auch nicht durch § 73 Satz 2 IRG gehindert, wonach die
Auslieferung auf einen Europäischen Haftbefehl hin unzulässig ist, wenn sie den
Grundsätzen des Art. 6 EU widerspricht. Dieser Regelung zu entnehmen, sie
stehe einer verfassungsgebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung entgegen, lässt
jedenfalls die Normhierarchie außer Acht. Von Verfassungs wegen gebotene
Verhältnismäßigkeitserwägungen sind unabhängig von ihrer ausdrücklichen
Erwähnung im Gesetzestext anzustellen (vgl. hierzu BVerfGE
61, 126 <134 f.> und zuletzt Beschluss des
Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2005
– 1 BvR 1072/01 -, Umdruck S. 25). Ebenso wenig lässt sich
aus der gesetzlichen Ausgestaltung der Bewilligungshindernisse ein Argument
gegen die Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis der Oberlandesgerichte herleiten.
Insbesondere überzeugt die Erwägung nicht, die Zuordnung des Fehlens der
gebotenen Überprüfung einer lebenslangen Freiheitsstrafe im ersuchenden Staat
zu den fakultativen Bewilligungshindernissen (§ 83b Nr. 4 IRG)
schließe es aus, dass das Gericht eine Auslieferung im Hinblick auf BVerfGE
45, 187 <245 f.> für unzulässig erklärt.
Einer gesetzlichen Regelung bedürfte es allenfalls dann, wenn die
Verhältnismäßigkeitsprüfung ohne wertende Vorgaben strukturlos wäre und damit
den Grundsätzen hinreichender Berechenbarkeit staatlicher Eingriffe nicht
genügte. Dies ist aber nicht der Fall. Es liegt auf der Hand, dass neben
Umständen der persönlichen Lebensführung - dabei sind insbesondere die für
Art. 6 GG, Art. 8 EMRK bedeutsamen Gegebenheiten in den Blick zu
nehmen - und einer realisierbaren Rücküberstellung zur Strafvollstreckung
in Deutschland der Grad des Inlandsbezugs der vorgeworfenen Tat für die
Beantwortung der Frage, ob sich der Verfolgte vor einem ausländischen Gericht
verantworten muss, von erheblicher Bedeutung sein wird, aber nicht immer
entscheidend sein kann (z.B. wenn ein Deutscher im Inland ein schweres
Verbrechen gegen einen Unionsangehörigen begangen hat, alle wesentlichen
Beweismittel aber nur im Heimatstaat des Opfers verfügbar sind). Die
maßgeblichen Gesichtspunkte für die Einzelabwägung in den Fällen, in denen der
Ortsbezug der strafbaren Handlung das Ergebnis der Verhältnismäßigkeitsprüfung
nicht vorzeichnet, ergeben sich aus der Natur der Sache und sind vom Senat
zutreffend umschrieben worden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die
- auch in diesem Verfahren angeklungene - Befürchtung eines
– unter Umständen sogar mit deutschen Stellen abgesprochenen - forum
shopping zu Lasten des Verfolgten von den Gerichten nicht nur unter dem Aspekt
der Verhältnismäßigkeit unterbunden werden kann, sondern auch gemäß § 73
Satz 2 IRG in Verbindung mit Art. 6 EU, wenn darin ein Missbrauch des
Übergabeverfahrens liegt.
Der Regelungsauftrag an den Gesetzgeber ist nicht nur überflüssig, mit den
Grundsätzen einer guten Gesetzgebung unvereinbar und belastet die
Gesetzgebungsorgane unnötig. Die Nichtigerklärung des Europäischen
Haftbefehlsgesetzes verstößt auch gegen das unionsrechtliche Gebot, die vom
Rahmenbeschluss verfolgten Ziele nach Möglichkeit zu erreichen (EuGH, Urteil
vom 16. Juni 2005, a.a.O., Rn. 43, 47). Dieses Gebot stellt sich hier
als ein der innerstaatlichen Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, dem Willen
des Gesetzgebers bei verfassungsrechtlichen Mängeln so weit wie möglich Geltung
zu belassen, paralleles Gebot der Normerhaltung dar.
3. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt, dass ein Gericht die Beachtung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vor einer Auslieferung überprüft. Dazu sind die
Oberlandesgerichte im Rahmen ihrer Entscheidung über die Zulässigkeit der
Auslieferung verpflichtet. Eine Rechtsschutzlücke besteht nicht.
Das Europäische Haftbefehlsgesetz sieht in seiner durch Art. 16
Abs. 2 GG gebotenen Auslegung folgende Entscheidungsstruktur vor: Die
Strafverfolgungsbehörden haben, sofern dazu im Einzelfall Anlass besteht,
gegebenenfalls nach Rücksprache mit den Strafverfolgungsbehörden des
ersuchenden Staats und unter Einschaltung von Eurojust die konkreten Aspekte
effektiver Strafverfolgung und die grundrechtlich geschützten Belange des
Verfolgten - diese als objektiv-rechtliche Wertungsvorgaben -
zu würdigen. Kommen sie zu dem Schluss, dass sie die Auslieferung bewilligen
wollen, sind ihre Erwägungen soweit dem Oberlandesgericht zu unterbreiten, dass
dieses den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, nunmehr als subjektives Recht
des Betroffenen auf Abwehr ungesetzlicher Auslieferung, überprüfen kann. Dabei
hat das Gericht - unbeschadet seiner Befugnis zur eigenständigen und
umfassenden Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen der Auslieferung -
Wertungen und Einschätzungen der Strafverfolgungsbehörden, die sich auf die
Strafverfolgung beziehen, grundsätzlich hinzunehmen und seiner Entscheidung zu
Grunde zu legen. Diese ?Arbeitsteilung? folgt einerseits der gesetzlichen
Entscheidung für die Unanfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung (§ 74b
IRG) und greift deren Ratio auf, Erwägungen und Einschätzungen zur
Zweckmäßigkeit nationaler oder transnationaler Strafverfolgung in der Hand der
Exekutive zu belassen. Sie sichert andererseits dem Verfolgten effektiven
Rechtsschutz in dem ihm zustehenden Umfang und wird zudem dem
Beschleunigungsanliegen des Europäischen Übergabeverfahrens gerecht.
Der Senat lässt sich demgegenüber ausschließlich von der Vorstellung
leiten, der gebotene Rechtsschutz müsse durch gerichtliche Überprüfung der
Bewilligungsentscheidung oder eine gleichwertige Umstrukturierung des
Auslieferungsverfahrens gewährt werden. Dazu konstruiert er mit
einfach-rechtlichen Argumenten, deren Tragfähigkeit hier nicht weiter
nachgegangen werden soll, eine subjektiv-rechtliche Komponente des
Versagungsermessens der Bewilligungsbehörde, was die Verfassungswidrigkeit der
ausdrücklich angeordneten Unanfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung nach
sich zieht, und folgert wegen der Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Gesetzgeber
danach offen stehen, dass das Europäische Haftbefehlsgesetz als Ganzes nichtig
ist. Diese Gesetzesauslegung gegen den Gesetzgeber ist nicht zu rechtfertigen
und steht mit dem bereits erwähnten verfassungs- und unionsrechtlich
begründeten Grundsatz der Normerhaltung in Widerspruch. Die schlechthin
unhaltbare Ansicht des Senats, die Regelung des § 83a IRG über die
Auslieferungsunterlagen verletze Art. 19 Abs. 4 GG, weil sie die
erforderlichen Angaben lediglich enthalten sollen, also dem Wortlaut der
Vorschrift nach nicht müssen, illustriert, wie wenig er sich im vorliegenden
Zusammenhang an die gängigen Auslegungsgrundsätze gebunden sieht.
II.
Auch von seinem Standpunkt aus hätte der Senat das Europäische
Haftbefehlsgesetz nicht für insgesamt nichtig erklären dürfen. Er stellt sich
bereits nicht der Frage, inwieweit es auf eine Verfassungsbeschwerde hin
überhaupt gerechtfertigt ist, ein Eingriffsgesetz wegen des Fehlens bestimmter
Regelungen insgesamt für nichtig zu erklären, statt lediglich seine Anwendbarkeit
für bestimmte Konstellationen zu verneinen. Bejahendenfalls wäre weiter zu
fragen gewesen, ob dies auch dann gilt, wenn die als fehlend erachteten
Bestimmungen sicher absehbar für den Ausgangsfall im Ergebnis keine Rolle
spielen würden. Wenn der Senat ferner meint, eine Teilnichtigkeit komme nicht
in Betracht, hätte er das Europäische Haftbefehlsgesetz im Wege einer
Übergangsregelung mit Maßgaben für eine verfassungskonforme Handhabung bis zum
Erlass eines neuen Gesetzes bestehen lassen müssen. Die Bundesrepublik
Deutschland hat sich verpflichtet, den einstimmig im Rat verabschiedeten und
hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlichen Rahmenbeschluss über den
Europäischen Haftbefehl bis Ende des Jahres 2003 umzusetzen. Ungeachtet dessen,
dass der Unionsvertrag insoweit kein Vertragsverletzungsverfahren vorsieht,
verstößt eine andauernde Nichtumsetzung gegen die Pflichten der Bundesrepublik
Deutschland gegenüber der Union und das Gebot der Rücksichtnahme und
Solidarität im Verhältnis zu den anderen Mitgliedstaaten. Dieser Verstoß wiegt
umso schwerer, als nach nationalem Verfassungsrecht die Verfassungswidrigkeit
eines Gesetzes gerade nicht zwangsläufig zur Erklärung seiner Nichtigkeit
führt. Sowohl die grundgesetzliche Verpflichtung auf die Integration Deutschlands
in ein vereintes Europa - vom Senat in jüngster Zeit mehrfach und mit
Nachdruck akzentuiert - als auch die unionsrechtliche Pflicht zu
gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung in Bezug auf Rahmenbeschlüsse (EuGH,
Urteil vom 16. Juni 2005, Rn. 43) zwingen dazu, durch die
übergangsweise, wenn auch sachlich reduzierte und verfassungskonform
modifizierte Fortgeltung verfassungswidriger Umsetzungsgesetze wenigstens einen
möglichst unionsrechtsnahen Rechtszustand herzustellen.
III.
Der Gesetzgeber wird bei der Neuregelung zu bedenken haben, ob es
angesichts dessen, dass die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am
Rahmenbeschluss über den Europäischen Haftbefehl verfassungsrechtlich in
Art. 23 GG gründet und dieser das Auslieferungsverfahren innerhalb der
Europäischen Union seiner völkerrechtlichen und außenpolitischen Elemente
weitgehend entkleidet hat, insoweit (noch) gerechtfertigt ist, gestützt auf
Art. 32 GG dem Bund die Verwaltungskompetenz zuzuweisen (§ 74 IRG).
Dabei geht es nicht darum, ob das Europäische Haftbefehlsgesetz der Zustimmung
des Bundesrates bedurfte, sondern um die Frage, ob überhaupt eine von
Art. 83 ff. GG abweichende Gestaltung der Vollzugskompetenz zulässig
ist. Im vorliegenden Verfahren bedurfte die - mit den Beteiligten nicht
erörterte - Frage auch nach meiner Auffassung keiner Entscheidung, weil
eine daraus etwa resultierende Verfassungswidrigkeit des Europäischen
Haftbefehlsgesetzes seine vorübergehende Weitergeltung nicht in Frage gestellt
hätte.
Gerhardt |